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Maskenpflicht im ÖV «Menschen brauchen den Gruppendruck»

Dass seit Montag in öffentlichen Verkehrsmitteln in der Schweiz eine Maske getragen werden muss, hat der Bundesrat bereits vor einer Woche kommuniziert. Dennoch verzichtete die Mehrheit der Pendlerinnen und Pendler in den vergangenen Tagen noch auf die Hygienemasken.

Erst mit der seit Montag geltenden Maskentragpflicht kamen die meisten Pendler der Aufforderung nach. Wieso Eigenverantwortung oft nicht ausreicht und wie Hygienemasken die soziale Wahrnehmung verändern, erklärt Psychologin Jacqueline Frossard.

Jacqueline Frossard

Vorstandsmitglied der Föderation der Schweizer Psychologen

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Die Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) ist die Dachorganisation der in der Schweiz tätigen Psychologinnen und Psychologen. Jacqueline Frossard ist Vorstandsmitglied der FSP und Fachpsychologin für Psychotherapie. Sie war 20 Jahre in einer eigenen Praxis tätig und amtet heute als Gerichtspräsidentin am Gericht für fürsorgerische Unterbringungen Basel-Stadt.

SRF News: Wer keine Maske trägt, kann aus dem ÖV gewiesen werden. Brauchen Menschen die Androhung von Sanktionen, um Regeln zu befolgen?

Jacqueline Frossard: Das spielt bestimmt auch eine Rolle. Wer aus dem Fahrzeug gewiesen wird, kommt nicht ans Ziel. Vor allem aber möchten Menschen nicht vor anderen diffamiert werden oder negativ auffallen.

Der Gruppendruck wirkt also effizienter als Bussen?

Es sind wohl weniger die angedrohten Sanktionen, als vielmehr der Gruppendruck, der Pendler dazu bringt, eine Maske zu tragen. Der Mensch ist ein Herdentier. Die meisten Menschen exponieren sich nicht gerne. Trage ich eine Maske, wenn es noch kaum jemand tut, falle ich genauso auf, wie wenn alle ausser mir eine Maske tragen. Wer mit dem Strom schwimmt, fällt nicht auf.

Viele nehmen die Situation als weniger bedrohlich als im Lockdown wahr.

Transportunternehmen appellierten schon früh an die Eigenverantwortung der Fahrgäste. Wieso nützte das nichts?

Das hat wohl auch mit der Kommunikation des Bundes zu tun. Lange Zeit hiess es: Wer eine Maske trägt, schützt vor allem die anderen. Niemand schränkt sich gerne für andere ein, wenn diese es nicht auch tun. Zudem nehmen viele die Situation als weniger bedrohlich als im Lockdown wahr. Diese «Sicherheit» ist jedoch trügerisch. Schliesslich reagierte der Bundesrat mit der Maskenpflicht im ÖV auf den markanten Anstieg der Neuinfektionen.

Wirken sich die Gesichtsmasken auf unsere soziale Wahrnehmung aus?

Ein Grossteil unserer Kommunikation läuft nonverbal ab. Mit Gestik, Mimik sowie der Stimme übermitteln wir viele Informationen. Mit Hygienemasken sehen wir nur noch den Augenbereich unseres Gesprächspartners, was das Erkennen von Emotionen massgeblich erschwert. Das führt zu einer grösseren Verunsicherung und allenfalls zu Fehlinterpretationen.

Hygienemasken erschweren das Erkennen von Emotionen massgeblich.

Für ältere Menschen ist die Situation zudem doppelt belastend, weil man durch die Masken weniger gut hört, was andere sagen. Mit einem Lächeln kann man Aussagen oft relativieren, abschwächen oder ironisieren – das ist mit Maske ebenfalls schwierig.

Wie können Pendler ihre Kommunikation trotz Maske verbessern?

Es hilft, wenn ich vermehrt Gesten einsetze oder meine Gefühle benenne. Statt zu lächeln, kann ich meine Freude im ÖV auch in Worte fassen oder mit dem Tonfall ausdrücken.

Alles in allem hat die Maskenpflicht auf die meisten Menschen wohl eine beruhigende Wirkung. Nach dem Motto: «Wenn das alle tun, dann mache ich das auch viel lieber.»

Das Gespräch führte Laura Sibold.

Tagesschau, 06.07.2020, 12:45 Uhr ; 

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