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«Medizin mit Augenmass» Neuer Ärzte-Eid – eine Alibiübung?

Mehr Eingriffe, höherer Verdienst: Solche Anreize soll es nicht mehr geben, finden ausgerechnet sehr gut bezahlte Ärzte.

«Ich betreibe eine Medizin mit Augenmass und empfehle oder ergreife nur Massnahmen, die sinnvoll sind.» Sätze wie dieser stehen im neuen Schweizer Ärzte-Eid, der als neuer ethischer Kodex für Ärzte gelten soll.

Der Initiant des neuen Schweizer Eides ist Bernhard Egger, Chefchirurg am Spital Freiburg. «Der Kerngedanke ist, die so wertvolle Beziehung zwischen Patient und Arzt vor äusseren Einflüssen zu schützen. Denn immer mehr dieser Entscheide sind von äusseren Einflüssen betroffen.» Äussere Einflüsse wie zum Beispiel leistungsabhängige Boni – dass Ärzte umso mehr verdienen, je mehr Untersuchungen und Eingriffe sie machen.

Solchen Anreizen will der Schweizer Eid entgegentreten. Im Sommer haben sich Ärzte im Spital Freiburg dazu bekannt. Gestern nun hat der grosse Verband FMCH den Eid an seiner Jahresversammlung abgelegt. Unter dem Dach des FMCH sind 9000 Chirurgen und invasiv tätige Ärztinnen und Ärzte organisiert.

Doch wie kontrollieren?

Eine gute Sache, gerade angesichts der jüngsten Schlagzeilen zu überrissenen Löhnen, findet Daniel Scheidegger, Präsident der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften. «Wenn es schon solche Exzesse gibt, sind sie am ehesten bei den Disziplinen, die in der FMCH zusammengeschlossen sind. Deshalb finde ich es toll, dass gerade sie den Eid sprechen.»

Allerdings stelle sich die Frage, wie man kontrollieren könne, ob sich die Ärzte im Alltag auch tatsächlich an die ethischen Grundsätze halten würden, so Scheidegger. Denn rechtlich bindend sei der Eid nicht, Verstösse werden nicht geahndet. Der Spitalverband H+ will sich offiziell nicht äussern, lässt aber durchblicken, dass man die Initiative des FMCH für eine Alibiübung hält. Gerade weil in dessen Reihen die meisten Spitzenverdiener sind.

Der Eid alleine reicht nicht

Der Gesundheitsexperte Felix Schneuwly vom Vergleichsdienst Comparis ist deshalb der Ansicht, das Anerkennen dieses Schweizer Eides müsse für die FMCH-Chirurgen Konsequenzen haben: «Ärzte, die mit einem Spital einen Vertrag haben, der bei mehr Operationen Boni verspricht, müssten eigentlich kündigen.»

Mehr noch: Ärzte, die zu viel untersuchen oder operieren, verstossen auch gegen die Regeln ihrer Standesordnung, so Schneuwly weiter. Deshalb hätten ärztliche Berufsverbände, darunter auch der Dachverband FMH, im Grunde ein Problem: «Wenn man ethische Standards hat und Mitglieder werden im Berufsalltag diesen Standards nicht gerecht, müsste man eigentlich handeln und sie ausschliessen.»

So weit sind die Überlegungen der Initianten des Schweizer Eids noch nicht gediehen. «Es muss von uns Ärztinnen und Ärzten kommen. Ganz sicher nicht von der Politik», so Bernhard Egger. Wie und ob sich das auf die Gesundheitskosten auswirkt, wird sich weisen.

Vom hippokratischen Eid zum Genfer Gelöbnis

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Der Eid geht auf ein Manuskript in griechischer Sprache zurück, das nach dem Arzt Hippokrates von Kos (460 bis 370 v.Chr) benannt wurde. Nach heutigem Forschungsstand reicht der Eid noch weiter zurück. Er gilt als erste grundlegende ethische Anweisung für Ärzte.

Die Ärzte von heute berufen sich allerdings nicht mehr direkt auf den Ursprungstext, sondern auf das sogenannte Genfer Gelöbnis, das der Weltärztebund 1948 verabschiedet hat. Es basiert auf dem antiken Manuskript, hat aber keine religiösen Bezüge mehr.

Das Genfer Gelöbnis wurde mehrmals revidiert. Zuletzt im Jahr 2006. In vielen Ländern ist es Teil der ärztlichen Berufsordnung, nicht aber in der Schweiz. Angehende Ärzte in der Schweiz schwören keinen Eid. An amerikanischen Universitäten ist der Schwur eher verbreitet.

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