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Nach SVP-Kritik «Parteien müssen die Unabhängigkeit der Richter respektieren»

Die UBS muss 45’000 Datensätze von UBS-Kunden nach Frankreich liefern. Das entschied das Bundesgericht letzte Woche mit 3 zu 2 Stimmen. Den Ausschlag gab der Walliser Bundesrichter Yves Donzallaz, Mitglied der SVP. Seitdem steht Donzallaz in seiner Partei heftig in der Kritik. Fraktionspräsident Thomas Aeschi erklärte, dass man sich ernsthaft fragen müsse, ob die SVP Bundesrichter der eigenen Partei wiederwählen wolle, wenn sie in keiner Weise das eigene Gedankengut vertreten würden.

Giusep Nay

Jurist

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Der 76-Jährige aus Graubünden war von 1989 bis 2006 Richter am Schweizerischen Bundesgericht und von 2005 bis 2006 der erste Bundesgerichtspräsident romanischer Sprache.

SRF News: Geht diese Kritik an SVP-Richter Donzallaz über die legitime Urteilsschelte hinaus?

Giusep Nay: Ja, ganz klar. Man kann Bundesgerichtsentscheide sachlich kritisieren, auch vonseiten der Politik. Das gehört zum Spiel «Checks and Balances». Wenn aber eine Partei von den Richtern verlangt, dass sie entsprechend der Parteilinie entscheiden, dann ist das eine Verletzung der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit des Richters.

Mann im Anzug.
Legende: Seine Stimme war letzten Freitag entscheidend: SVP-Bundesrichter Yves Donzallaz. Keystone

Gibt es für eine Partei kein Anrecht darauf, dass ihr Richter in ihrem Sinne Urteile fällt?

Nein. Wenn überhaupt, dann höchstens in Ermessensfragen, wo gesellschaftspolitische Auffassungen eine Rolle spielen. Niemals aber in der Auslegung und Anwendung von Gesetzen, wie es hier der Fall ist.

Haben Sie Beispiele aus Ihrer Zeit als Bundesrichter, wo das Parteibuch trotzdem eine Rolle spielte?

Nein, als von der CVP nominierter Bundesrichter bin ich da gut positioniert. Natürlich waren auch meine Positionen der CVP nicht immer genehm. Ich hatte aber deswegen nie eine solche Schelte bekommen wie nun Donzallaz bei der SVP.

Mann im Anzug.
Legende: Das Vorgehen der SVP und dessen Fraktionspräsident Thomas Aeschi sei eine Verletzung der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit des Richters, so der ehemalige Bundesrichter Giusep Nay. Keystone

Wenn man die Kritik am Bundesgericht zu Ende denkt, läuft das letztlich auf eine Amerikanisierung der Bundesrichter hinaus. Stimmt das?

Ganz genau. Das ist die grosse Gefahr und entspricht ganz und gar nicht unserer Bundesverfassung. Wenn das Vorschlagsrecht der Parteien für Bundesrichter beibehalten werden will, müssen die Parteien die Unabhängigkeit der Richter respektieren.

Die Diskussion schon vor der Urteilsbegründung zu führen, ist nicht sachgerecht.

Nun spricht man von Nicht-Wiederwahl von Richtern. Für mich stellt sich die Frage, ob man Kandidaten einer solchen Partei, die Druck auf die Richter ausübt, wählen kann. Bei der Wiederwahl stellt sich die Gretchenfrage für jeden Bundesrichter: Sind sie genügend unabhängig von ihrer Partei?

Die UBS-Verhandlung war öffentlich. Wäre es nicht besser, würde das Bundesgericht würde hinter verschlossenen Türen tagen?

Nein. Man muss das so handhaben wie bisher. Aber die Mentalitäten, vor allem seitens der Politiker, die jetzt unsachlich gegen das Bundesgericht vorgehen, die müssen sich ändern.

Bundesgericht von aussen.
Legende: Das Bundesgericht in Lausanne ist das oberste Gericht der Schweiz. Keystone

FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann will das Urteil von der parlamentarischen Rechtskommission analysieren lassen. Was sagen Sie dazu?

Die Politiker haben das Recht und die Pflicht, solche Urteile genau unter die Lupe zu nehmen. Aber was jetzt geschehen ist, ist etwas anderes. Man kennt die Urteilsbegründung ja noch gar nicht. Und auf die kommt es hier in diesem Fall wesentlich an. Die Diskussion schon vorher zu führen, ist nicht sachgerecht.

Glauben Sie, dass für die Bundesrichter etwas zurückbleiben wird?

Ich hoffe nicht. Auch zu meiner Zeit gab es teilweise solche Diskussionen. Meine Haltung war stets, dass wenn man mich wegen irgendeiner Haltung nicht mehr wählen will, dann soll man das tun. Das ist die Haltung, die jeder Bundesrichter haben muss.

Das Gespräch führte Simon Leu.

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