Es geschah in Pfäffikon im Zürcher Oberland, vor etwas mehr als vier Monaten. Ein mutmasslicher Staatsverweigerer bedrohte einen Betreibungsbeamten mit einer Waffe und entführte ihn kurzzeitig, bis dem jungen Beamten die Flucht gelang. Dieser Entführungsfall brachte das Fass zum Überlaufen, wie die «Neue Zürcher Zeitung» berichtet. Denn nun wird die Szene der sogenannten Staatsverweigerer vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) überwacht.
Ziel ist, ein Lagebild zu diesem Phänomen zu erstellen und allfällige Organisationsstrukturen gewalttätiger Staatsverweigerer identifizieren zu können.
Der Nachrichtendienst bestätigt auf Anfrage den Bericht der NZZ: «In Absprache mit der Kantonspolizei Zürich hat der Nachrichtendienst des Bundes entschieden, das Phänomen Staatsverweigerer gemeinsam zu bearbeiten. Ziel ist, ein Lagebild zu diesem Phänomen zu erstellen und allfällige Organisationsstrukturen gewalttätiger Staatsverweigerer identifizieren zu können.»
Die Staatsverweigerer sind keine einheitliche Gruppe. Einige von ihnen kann man als Querulanten bezeichnen, die ständig im Streit mit Behörden liegen. Andere sind Selbstverwalter, die die staatliche Ordnung gar nicht anerkennen. Und einige haben sogar Kontakte zu den rechtsradikalen Reichsbürgern.
Radikalisierung durch Corona-Widerstand
Generell kann man sagen, dass in der Schweiz in den letzten Jahren die Probleme mit Staatsverweigerern zugenommen haben und dass sich gerade in der Corona-Zeit einige von ihnen radikalisiert haben – in ihrem Widerstand gegen Maskenpflicht, Restaurant-Schliessungen und Impfzertifikate. Das Problem ist, dass genauere Informationen fehlen.
Wir wissen nicht, wie gross die Szene ist, wie vernetzt sie ist, und wir wissen nichts über ihren Zugang zu Waffen.
Der Zürcher Kriminologe Dirk Baier hat sich wissenschaftlich mit dem Phänomen der Staatsverweigerer befasst. Er schätzt, dass in der Schweiz bis zu 3000 Personen dieser Strömung zuzurechnen sind. Baier begrüsst es, dass jetzt die staatlichen Sicherheitsbehörden genauer hinschauen.
Er sagt: «Wir sind geschockt, wenn so etwas wie in Pfäffikon passiert und man plötzlich sieht, dass es die Szene gibt und dass es Menschen gibt, die bereit sind, Gewalt auszuüben. Wir wissen nicht, wie gross die Szene ist, wie vernetzt sie ist, und wir wissen nichts über ihren Zugang zu Waffen.» Es brauche ein Lagebild, um die Bewegung richtig einordnen zu können. Nicht jeder Staatsverweigerer ist gewalttätig. Einige von ihnen geben auch nach, wenn die Behörden mit Nachdruck die Steuern einfordern und zum Beispiel den Lohn pfänden.
Personen, die staatsverweigernd denken, sind fünf- bis zehnmal häufiger gewaltbereit.
Aber es gibt eben auch die anderen, die Radikaleren. Und vor allem gibt es ein Grundproblem in der Staatsverweigererszene: «Über Befragungsstudien konnten wir feststellen, dass Personen, die staatsverweigernd denken, fünf- bis zehnmal häufiger gewaltbereit sind», so Baier. Sie seien grundsätzlich eher der Ansicht, Gewalt anwenden zu müssen, um ihre Ziele zu verfolgen. «Diese Gewaltbereitschaft verbunden mit dem Feindbild dieser Szene, das ist etwas, was mir Sorgen macht.»
Hinweise auf Gewalt müssen gegeben sein
Dass es in Kreisen der Staatsverweigerer einen Hang zur Gewalt gibt, sieht auch der Nachrichtendienst des Bundes so. «Damit der Nachrichtendienst im Bereich des gewalttätigen Extremismus präventiv tätig werden kann, sind konkrete Hinweise auf Gewaltbezüge ausschlaggebend», schreibt der Nachrichtendienst.
Für eine Überwachung reicht eine rein ideologische Radikalisierung nicht, sondern es muss aus den entsprechenden Kreisen auch Gewalt ausgeübt oder unterstützt werden. Der Entführungsfall von Pfäffikon hat diesbezüglich die letzten Zweifel ausgeräumt.