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Neun-Millionen-Schweiz Für die AHV ist die Zuwanderung wie ein Jungbrunnen

Eine neue Studie kommt zum Schluss: Zuwanderung ist ein Segen für die AHV – auch wenn sie andernorts Probleme schafft.

Eine noch nicht publizierte Studie untersucht aus Wirtschaftsperspektive, was die Zuwanderung der Altersvorsorge bringt. HSG-Ökonom Reto Föllmi hat AHV-Daten der letzten 20 Jahre analysiert – wer wie viel einzahlt und wie viel bezieht. Er sagt: «Am meisten hat mich überrascht, dass Zuwanderung hier einen sehr positiven Effekt hat.»

Passagiere am Bahnhof Bern
Legende: Diesen Herbst leben in der Schweiz neun Millionen Menschen. Das sind knapp zwei Millionen mehr als vor 23 Jahren. Das schnelle Wachstum führt zu Dichtestress – und zu politischen Diskussionen, wie viel Zuwanderung die Schweiz verträgt. Keystone/Dominic Favre

Der Grund ist, dass die Zugewanderten die Bevölkerung in der Schweiz verjüngen. Die meisten kommen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren in die Schweiz. Dadurch zahlen sie mehr in die AHV ein, als sie beziehen. Der verjüngende Effekt sei sehr wichtig, sagt der St. Galler Volkswirtschaftsprofessor, «er macht, statistisch gesehen, sogar wett, dass die Zuwanderer im Schnitt weniger Erwerbseinkommen erzielen als die ansässige Bevölkerung und öfter arbeitslos sind».

Nur wenn die Schweiz attraktiv bleibt und weiterhin junge, möglichst gut ausgebildete Zuwanderer anzieht, bleibt der verjüngende Effekt der Einwanderung erhalten.
Autor: Reto Föllmi Ökonom an der Universität St. Gallen (HSG)

Aber was passiert, wenn diese Zuwanderer selber ins Pensionsalter kommen und AHV beziehen? Dann braucht es bei der aktuellen Geburtenrate neue Zuwanderer, um die AHV der alten Zuwanderer zu finanzieren. Und hier kommt Ökonom Föllmi zum entscheidenden Punkt: «Nur wenn die Schweiz attraktiv bleibt und weiterhin junge, möglichst gut ausgebildete Zuwanderer anzieht, bleibt der verjüngende Effekt der Einwanderung erhalten.» Dann würden auch in 20 oder 30 Jahren die Zugewanderten weniger Leistungen beziehen, als sie in die Sozialwerke einzahlen.

Ist Wachstum alternativlos?

Das bedeutet: Die Schweiz muss weiter wachsen, um den positiven demografischen Effekt zu erhalten. Sie muss die eingewanderten Ärztinnen, Krankenpfleger und IT-Fachleute wiederum durch Zuwanderung ersetzen. Allerdings funktioniere dieses «Matching» nicht perfekt, so der Forscher. Es kämen nicht immer genau die, die das Land gerade brauche.

Aber insgesamt mache es die Schweiz nicht schlecht: «Entscheidend ist, dass die Zuwanderer die ansässige Bevölkerung strukturell möglichst ergänzen.» Und das sei bisher tatsächlich so: «Relativ wandern mehr Ärztinnen und Ärzte oder Fachspezialisten im IT-Bereich ein, als wir in der ansässigen Bevölkerung haben.»

Der Fluch des Erfolgreichen

Natürlich weiss Föllmi um die Probleme der Zuwanderung: Wohnungsnot, volle Züge, ständige Staus. Und er verstehe auch das Unbehagen, das manche Leute im eigenen Land empfinden. Es sei der Fluch des Erfolgreichen, meint der Ökonom, und gibt zu bedenken: Das Gegenteil wäre womöglich weit schlimmer für die Schweiz.

Denn würde die Schweizer Bevölkerung stagnieren oder sogar zurückgehen, würde dies ebenfalls Probleme schaffen: «Die Infrastruktur müsste trotzdem unterhalten werden, aber die nötigen Steuergelder würden bei weniger Leuten im Land fehlen – und dann würden wir ganz andere Diskussionen führen.» Etwa, ob wir uns im ÖV all die Regionallinien leisten können. Und die AHV wäre chronisch unterfinanziert.

Fazit: Die Zuwanderung ist Segen und Fluch zugleich. Die Altersvorsorge profitiert, viele Leute leiden aber trotzdem. Ohne Zuwanderung hätten wir allerdings gravierende Probleme. Für Föllmi braucht es darum ein stetes Austarieren und Ausdiskutieren. Wie verträglich Zuwanderung für eine Gesellschaft sei, sei vor allem eine Frage des Tempos – damit die Infrastruktur und die Menschen mitkämen.

Rendez-vous, 27.09.2023, 12:30 Uhr

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