Der Bundesrat hat im Februar Sanktionen gegen den russischen Aggressor im Ukraine-Krieg verhängt. Nicht alle sind mit diesen Sanktionen einverstanden. Christoph Blocher beispielsweise will mit einer neu lancierten «Neutralitätsinitiative» den Bundesrat bei zukünftigen Sanktionen einschränken. Aber wie handhabte die Schweiz in der Vergangenheit ihre Sanktionspolitik? Ein Historiker ordnet ein.
SRF News: Seit wann trägt die Schweiz Sanktionen der UNO mit?
Marco Jorio: Erstmals teilweise an UNO-Sanktionen beteiligt, hat sich die Schweiz 1965 gegen das Apartheidregime von Rhodesien, obwohl die Schweiz zu dieser Zeit noch nicht Mitglied der UNO war. Es waren aber keine Sanktionen gegen einen Aggressor in einem Krieg, sondern gegen die damalige Menschenrechtssituation.
Aber: Die allerersten Sanktionen, die die Schweiz ergriffen hatte, waren 1935. Und das noch im Rahmen des Völkerbundes. Die Schweiz bekam vom Völkerbund eine Ausnahmebewilligung, nur wirtschaftliche Sanktionen übernehmen zu müssen.
Worum ging es bei den ersten Schweizer Sanktionen 1935?
Italien, damals noch unter Benito Mussolini, hatte das Kaiserreich Abessinien (heute Äthiopien) überfallen – übrigens ganz ähnlich wie Russland die Ukraine überfallen hat. Daraufhin hat der Völkerbund Sanktionen ergriffen. Die Schweiz hatte diese befolgen müssen. Allerdings widerwillig.
Ein zweites Paket von Wirtschaftssanktionen kam im aufkommenden Kalten Krieg (Ende der 1940er-Jahre), ebenfalls ausserhalb der UNO. Die Amerikaner haben mit ihren westlichen Verbündeten Wirtschaftssanktionen gegen die kommunistische Sowjetunion verhängt.
Die Schweiz hatte 1951 unter grossem internationalen Druck im sogenannten Hotz-Linder-Abkommen nachgegeben, welches bis zum Zerfall der Sowjetunion in den 90er-Jahren bestand.
Wann hat die Schweiz zum ersten Mal EU-Sanktionen mitgetragen?
Die Schweiz trug erstmals 1998 Sanktionen der EU mit. Damals hat die Schweiz an Wirtschaftssanktionen der EU gegen Serbien im Zusammenhang mit den Jugoslawienkriegen teilgenommen. «Teilgenommen» deshalb, weil die Schweiz nicht alle Wirtschaftssanktionen mittrug .
Wie reagierte die Schweizer Bevölkerung auf die vom Bund übernommenen Sanktionen?
Das kann ich pauschal nicht beantworten. Die Reaktionen hängen von der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung des sanktionierten Staates ab.
Betreffen die Sanktionen einen kleineren Staat wie Serbien oder das ehemalige Rhodesien, dann wurde das kaum wahrgenommen. Betrifft es aber eine Grossmacht wie Russland, dann sieht das etwas anders aus.
Nun hat aber die Schweiz aber schon nach der Annexion der Krim 2014 gegen Russland Sanktionen verhängt. Damals gab es aber deutlich weniger innenpolitischen Widerstand.
Das stimmt, aber die Schweiz hatte damals relativ milde Sanktionen beschlossen, obwohl die Annexion auch völkerrechtswidrig war. Die Schweiz war zurückhaltend, weil sie den Vorsitz in der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) hatte und als Vorsitzende Russland nicht brüskieren wollte.
Sind die Sanktionen gegen Russland also ein Paradigmenwechsel in der Schweizer Aussenpolitik?
Nein, das wäre übertrieben. Die Schweiz hat eine über 80-jährige Sanktionsgeschichte. Neu ist, dass es gegen eine Grossmacht geht. Kombiniert mit vollständig mitgetragenen EU-Sanktionen gibt es dem Ganzen diese gewisse «Neuigkeit». Der Paradigmenwechsel wird mehr geschrien, als dass er Realität wäre.
Das Gespräch führte Nico Schwab.