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Pille in Italien bald gratis Expertin fordert: «Alle Verhütungsmittel sollten kostenlos sein»

In Italien ist die Antibabypille bald gratis. Ein Schritt in die richtige Richtung, doch nicht genug, so eine Expertin.

In Italien gibt es die Antibabypille bald kostenlos. Das hat die italienische Arzneimittelagentur beschlossen. Die jährlichen Gesamtkosten werden auf 140 Millionen Euro geschätzt. Ziel sei es, Frauen, die bisher aus Kostengründen auf die Pille verzichten, zu dieser Art der Verhütung zu bewegen. Auch ein möglicher Weg für die Schweiz?

Wie ist die Lage in der Schweiz? Wer hierzulande mit der Antibabypille verhüten will, muss die Kosten selber tragen. Das kritisiert Barbara Berger. Die Geschäftsleiterin der Organisation Sexuelle Gesundheit Schweiz geht aber noch einen Schritt weiter: «Der italienische Entscheid geht in die richtige Richtung. Doch er ist unvollständig: Alle Verhütungsmittel sollten kostenlos sein.»

Ein Päckchen Antibabypillen.
Legende: Die Antibabypille ist in Italien bald kostenlos. KEYSTONE/Christian Beutler

Die passende Form sei für jeden Menschen unterschiedlich, die Pille nicht immer die richtige Wahl – vor allem, wenn die Nebenwirkungen unangenehm seien.

Antibabypillen: Viele Nebenwirkungen möglich

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Wer mit Antibabypillen verhütet, hat sich für eine hormonelle Methode entschieden. Die Sicherheit ist gross, nach dem Sex nicht schwanger zu werden. Grundsätzlich verhindert die Pille den Eisprung, verändert die Gebärmutterschleimhaut so, dass die Einnistung des Eis nicht möglich ist, und verdickt den Schleim des Muttermundes, weshalb das Eindringen der Spermien verhindert wird.

Die Einnahme der Antibabypille ist allerdings mit möglichen Nebenwirkungen verbunden. Studien haben etwa gezeigt, dass ein erhöhtes Thrombose-, Diabetes-, Gebärmutterhalskrebs- oder Brustkrebsrisiko existiert. Auch Migräne oder Kopfschmerzen könnten häufiger vorkommen, genauso wie Schlaganfälle, Herzinfarkte, Libidoverlust, geringeres Empathieverhalten oder eine allgemein schlechtere Lebensqualität.

Forschende der Universität Kopenhagen haben ausserdem herausgefunden, dass die Einnahme von Antibabypillen die Wahrscheinlichkeit erhöht, Suizid zu begehen. Die Europäische Arzneiagentur hatte in der Vergangenheit bereits angeregt, stärker auf dieses Risiko einzugehen. Für Aufsehen gesorgt hatte vor mehreren Jahren zudem der «Fall Céline»: Eine junge Schaffhauserin hatte nach Einnahme der Antibabypille «Yasmin» eine schwere Lungenembolie erlitten und ist seither schwerstbehindert.

Weshalb sind Antibabypillen in der Schweiz kostenpflichtig? Weil es politisch gewollt ist, denn es gab immer wieder Vorstösse, die das ändern wollten. So hat etwa der damalige Grünen-Nationalrat und heutige Genfer Regierungsrat Antonio Hodgers 2013 eine Motion eingereicht, welche Frauen unter 20 Jahren gratis Zugang zu Verhütungsmitteln – insbesondere der Antibabypille – ermöglichen wollte. Der Vorstoss wurde ebenso abgelehnt wie Jahre später die Motion von SP-Nationalrätin Samira Marti, welche medizinisch verschriebene Verhütungsmittel für alle Bevölkerungsgruppen in den Grundkatalog der Krankenkassen aufnehmen wollte.

Zudem: Die Schweiz hat kein Präventionsgesetz, der Ständerat hatte es 2012 beerdigt. Berger: «Gesundheitsprävention hat es in der Schweiz eher schwierig.» Ausserdem werde oft das Argument ins Feld geführt, dass Verhütung Privatsache sei – und die Schweizer Bevölkerung genügend Mittel zur Verfügung habe, die Kosten selber zu tragen.

Was kostet die Verhütung mit der Antibabypille in der Schweiz? Gemäss Berger kann man mit jährlichen Ausgaben von 200 bis 300 Franken rechnen. Zudem brauche man etwa einmal im Jahr einen Termin bei einer Fachperson, welche die Pille verschreibt. «Das kostet nochmals etwa 150 Franken.» Entscheidet sich eine Frau für die Pille, nimmt sie diese aber nicht für ein paar Monate, sondern vielmehr über mehrere Jahre ein. «Die meisten Frauen geben für die Verhütung mit der Antibabypille insgesamt mehrere Tausend Franken aus», sagt Berger.

Und wie steht es um die Verhütung für Männer?

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Sehe man von Kondomen und der Vasektomie, also der Sterilisation des Mannes, ab, stecke man hier noch in den Kinderschuhen, sagt Barbara Berger, Geschäftsführerin von der Fachstelle Sexuelle Gesundheit Schweiz. Mehr Forschung betreiben müsse man noch bei der thermischen Verhütung, erklärt sie weiter. Dabei werden die Hoden mit einem Silikonring um ein bis zwei Grad erwärmt, womit weniger Spermien entstehen. Kostenpunkt: Einmalig 80 Franken, dann eine halbjährliche Spermienkontrolle. Zum Vergleich: Entscheidet sich eine Frau, eine Spirale einzusetzen, zahlt sie gemäss Berger zwischen 500 und 700 Franken.

Die Pille für den Mann ist noch nicht auf dem Markt. Zum Thema geforscht wird allerdings – und das nicht erst seit heute. Zuletzt haben Reproduktionsmedizinerinnen und Reproduktionsmediziner beispielsweise einen Wirkstoff entdeckt, der die Verschmelzung von Spermien und Eizelle verhindert.

Können sich das alle leisten? Offenbar nicht. Berger sagt: «Wir sehen bei unseren Beratungsgesprächen, dass die Kosten auch in der Schweiz ein Thema und teils zu hoch sind.» Die Armutsquote liegt in der Schweiz gemäss Bundesamt für Statistik bei 8.5 Prozent. Kosten von mehreren Tausend Franken – wenn auch über Jahre – können dann eine hohe Belastung für das Budget sein. Und auch andere Methoden wie etwa die Spirale kosten. «Deshalb wird teils auf eine Form zurückgegriffen, die nicht zufriedenstellend ist. Und teilweise wird deshalb auch gar nicht verhütet», sagt Berger.

Wo steht die Schweiz in Sachen Verhütung im europäischen Vergleich? Der Contraception Policy Atlas erscheint jährlich und geht auf die Initiative des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte (EPF) zurück.

Er zeigt, wie zugänglich Verhütungsmittel in den jeweiligen Ländern sind, wie transparent darüber informiert wird und wie niederschwellig die Beratungsangebote sind. Je höher der Wert, desto besser. Die Schweiz: im Mittelfeld.

SRF 4 News, 22.04.2023, 12:00 Uhr

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