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Politik zwischen den Polen Wo ist die politische Mitte?

Mit dem neuen Namen «Die Mitte» nimmt die frühere CVP das politische Feld zwischen den Polen in Anspruch. Nur: Wo liegt die politische Mitte, wie geht Mitte-Politik und warum entscheidet sich jemand, dort zu politisieren?

Auf den ersten Blick ist es ganz einfach: «Die Mitte» ist in der Mitte - zwischen Links und Rechts. Das stimmt, ist aber nicht die ganze Wahrheit. Wenn man nämlich definieren will, wo in einem Land, genauer gesagt in einem Parlament, die Mitte ist, landet man bei ganz unterschiedlichen politischen Ausrichtungen: Ein Mitte-Politiker in Frankreich oder in den USA hat andere Einstellungen als einer in der Schweiz und wieder andere als eine, die in Schweden zur Mitte zählt.

Die Mitte der «Mitte»

Bleiben wir in der Schweiz und hier bei den 200 Nationalrätinnen und Nationalräten: Hier steht die Person in der Mitte, die links und rechts von sich genau gleichviel Kolleginnen und Kollegen hat. Laut dem Parlamentarier-Rating, das der Politgeograf Michael Hermann und sein Sotomo-Institut regelmässig für die NZZ aufstellen, ist das zur Zeit der Walliser Sydney Kamerzin, gewählt als CVP-Politiker, heute Mitglied der Mitte-Fraktion.

Kamerzin, französischsprechend aus Siders, ist voll und ganz einverstanden mit dem Label Mitte. Bei einem Gespräch in der Wandelhalle sagt er: «Bei uns gibt es keine Ideologie und das spürt man in der Fraktion. Wir haben eine grosse Abstimmungsfreiheit». Tatsächlich stimmt die Mitte-Fraktion etwas weniger geschlossen als andere Parteien im Parlament. Vor allem aber ist bei der Mitte oft nicht schon von vorn­he­r­ein klar, ob sie mehrheitlich auf den grünen Ja- oder den roten Nein-Knopf drücken wird.

Genau das gehört für den «mittigsten» Mitte-Politiker des Nationalrats zur DNA der Mitte: «Die Idee der Mitte ist, ein Block zwischen links und rechts zu sein, der die Mehrheiten bildet», erklärt Kamerzin seine Vorstellung von Mittepolitik. Und zwar geschehe das von Fall zu Fall, mal so, mal so.

Die Idee der Mitte ist, ein Block zwischen links und rechts zu sein, der die Mehrheiten bildet.
Autor: Sydney Kamerzin Nationalrat «Die Mitte»

Das hat etwas Unberechenbares und tönt wenig verlässlich. «Ja», meint der 46-jährige Notar und Anwalt, «von aussen mag unser Profil weniger erkennbar sein als bei der FDP oder bei der SP. Aber, wenn man schaut, wie das Volk entscheidet, sieht man, dass wir mit unseren Positionen sehr oft richtig liegen.»

Das Dilemma der Mitte

Was Kamerzin anspricht, könnte man als das Dilemma der «Mitte» bezeichnen. Die CVP oder eben «Die Mitte», wie sie heute heisst, ist zwar nur die viertstärkste Kraft im Land – bei den Volksabstimmungen gehört sie aber meistens zu den Gewinnerinnen. Mit anderen Worten, viele Stimmberechtigte sind oft mit «Der Mitte» einig und würden sich vielleicht auch in «Der Mitte» verorten, wählen aber lieber politische Kräfte die linker oder rechter positioniert sind.

Politikwissenschafter Michael Hermann sagt es so: «Viele Wählerinnen und Wähler wollen den Dampfer Politik ein bisschen in eine andere Richtung lenken. Um das zu erreichen, wählen sie lieber eine Partei, die deutlich rechts oder deutlich links steht. Denn wenn sie «Mitte» wählen, wissen sich nicht, wohin der Dampfer fährt.»

Auch Junge lassen sich für «Die Mitte» gewinnen

Eine, die dennoch an die Zukunft einer Mitte-Politik glaubt, ist die 18-jährige Alina Spuhler aus Rheinfelden im Kanton Aargau. Während andere in diesem Alter mit den politischen Rändern liebäugeln oder sich lautstark für eine Sache, etwa den Klimaschutz, einsetzen, sagt sie: «Mich hat nicht ein bestimmtes Thema politisiert. Ich interessiere mich für den politischen Prozess, dafür, die beste Lösung eines Problems zu finden.»

Ich interessiere mich für den politischen Prozess, dafür, die beste Lösung eines Problems zu finden.
Autor: Alina Spuhler Jungpolitikerin «Die Mitte»

Ideologien oder Utopien sind nicht ihre Sache. «Meine Philosophie ist nicht, von heute auf morgen alles ändern zu wollen. Ich finde schon, dass es in eine Richtung gehen muss, aber eher in kleinen Schritten», sagt Spuhler.

Unterdessen gibt es erste, scheue Anzeichen, dass das etwas komplexe, vielleicht auch schwammige Konzept «Mitte» bei jungen Menschen tatsächlich eine gewisse Anziehungskraft haben könnte. So meldet die «Junge Mitte», dass von ihren rund 2500 Mitgliedern knapp 400 im letzten Jahr dazugekommen sind – darunter auffallend viele im Alter zwischen 15 und 19 Jahren.

Hat die Mitte Zukunft?

Ob «Mitte»-Politikerinnen und «Mitte»-Politiker eher gewählt werden, wenn sie auch tatsächlich unter dem Label «Mitte» segeln, werden zukünftige Wahlgänge zeigen. Andere Parteien, die man auch zum «Mitte»-Lager zählen kann, punkten mit anderem: Die Grünliberalen zum Beispiel, die etwas weiter links stehen, haben kaum wegen ihrer Mitteposition Erfolg, sondern wegen ihres Versprechens, Ökologie und Wirtschaft zu verbinden.

Parteipräsident Gerhard Pfister stellt seine Idee für den Namenswechsel der Öffentlichkeit vor.
Legende: Ob die ehemalige CVP mit neuem Namen mehr Erfolg hat, muss sich noch zeigen. Keystone

«Für die «Mitte»-Partei wäre es insofern schon ein Erfolg, wenn sie sich auf dem heutigen Niveau halten könnte», sagt Michael Hermann. Ein grosses Wachstum wäre nur dann möglich, wenn die Partei pointierter aufträte. Dann würde sie sich aber politisch gesehen aus der Mitte verabschieden.

Für die «Mitte»-Partei wäre es insofern schon ein Erfolg, wenn sie sich auf dem heutigen Niveau halten könnte
Autor: Michael Hermann Politgeograf

Schrumpft die «Mitte»-Partei aber weiter, hiesse das umgekehrt nicht, dass es keine politische Mitte mehr gäbe. «Eine politische Mitte gibt es in einem System immer», sagt Polit-Expert Michael Hermann, «sie kann sich aber immer verschieben.»

Einfach Politik, 26.03.2021

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