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Propaganda in der Schweiz? «Erdogan versucht, seine Anhänger aufzuwiegeln»

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reist offiziell zum ersten Weltflüchtlingsforum in Genf an. Er wird an der Konferenz finanzielle Unterstützung einfordern. Doch vorher trifft er sich mit Anhängern in Genf. Der diplomatische Korrespondent von SRF, Fredy Gsteiger, sagt, warum Erdogan das darf.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

SRF News: Offiziell tritt Erdogan morgen Dienstag an. Inoffiziell spricht er aber schon heute Montag. Wie oft kommt es vor, dass ein Staatschef das macht?

Das kommt ziemlich oft vor. Das berühmteste Beispiel ist wahrscheinlich die Berliner Rede von US-Präsident John F. Kennedy. US-Präsident Barack Obama trat gerne bei Besuchen während seiner Amtszeit in Universitäten vor Studenten auf. Andere Staats- und Regierungschefs begrüssen Wirtschaftsvertreter. Da geht es jeweils darum, Investoren anzulocken, die bilaterale Freundschaft zu zelebrieren oder für sein eigenes Land zu werben. Bei Erdogan haben solche Reden oft einen weniger harmonischen oder freundschaftlichen Inhalt, das ist das Problem.

Die Kurden sprechen in Bezug auf die Rede vor Erdogan-Anhängern von einem Affront. Hätte die Schweiz dieses Treffen im Hotel verbieten können?

Zurzeit fehlt der Schweiz die Handhabe dazu. Den Auftritt vor der UNO hätte die Schweiz ohnehin nicht verhindern können, da gilt das sogenannte Gastland-Abkommen. Wer vor der UNO auftritt, das bestimmt die UNO selbst. Die Schweiz muss die Visa ausstellen und die Leute reden lassen. Der Palais des Nations in Genf ist sozusagen UN-Domäne.

Bei anderen Auftritten hätten die Gastländer die Möglichkeit, eine Bewilligungspflicht vorzusehen. Die Schweiz hat diese Bewilligungspflicht nach dem Kalten Krieg abgeschafft.

Bei den anderen Auftritten hätten die Gastländer grundsätzlich die Möglichkeit, eine Bewilligungspflicht vorzusehen. Allerdings hat die Schweiz diese Bewilligungspflicht nach dem Kalten Krieg abgeschafft. Der Versuch, sie wieder einzuführen, kam im Parlament nicht durch.

Welche Botschaft bringt Erdogan seinen Anhängern?

Konkretes ist bislang nicht bekannt, aber die Erfahrung von Auftritten von Erdogan in Deutschland zeigt, dass solche Auftritte bei ihm sehr parteiisch, oft aggressiv ausfallen. Er versucht, seine Anhänger hinter sich zu scharen und sie aufzuwiegeln. Man muss auch den Hintergrund berücksichtigen: Erdogan steht innenpolitisch unter Druck. Seine Partei hat zum Beispiel in Istanbul den wichtigen Bürgermeisterposten verloren.

Welche Position vertritt die Türkei am Flüchtlingsforum?

Zunächst jene, dass die Türkei sehr viel für die syrischen Flüchtlinge getan habe. Das stimmt, sie hat mehr aufgenommen als alle anderen Länder. Seiner Meinung nach sollen nun andere Länder in die Bresche springen. Sie sollen syrische Flüchtlinge von der Türkei übernehmen oder zumindest sehr viel mehr bezahlen, wenn sie das nicht wollen. Und Erdogan äussert zudem die Drohung, radikale Islamisten ausreisen zu lassen, wenn seinen Forderungen nicht entsprochen wird.

Erdogan gebärdet sich in zunehmendem Masse antiwestlich.

Es fällt auf, dass Erdogan in den letzten Tagen dominant auftritt. Er will zum Beispiel in Libyen mitmischen. Den USA drohte er mit der Schliessung ihrer Militärstützpunkte in der Türkei. Warum tut er das jetzt?

Das Grundproblem von Erdogan ist, dass er sich vom Westen ungerecht behandelt fühlt. Das geht zurück bis auf die Zeit als klar wurde, dass die Türkei so schnell nicht EU-Mitglied werden dürfte. Er fühlt sich im Kampf gegen seine innenpolitischen Gegner zu wenig unterstützt. Er hat generell Mühe mit Demokratie und damit auch mit demokratischen Ländern und gebärdet sich deswegen in zunehmendem Masse antiwestlich.

Das Gespräch führte Simon Leu.

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