An vielen Schweizer Universitäten demonstrieren Studierende für ein Ende des Krieges im Gazastreifen. Universitäten sollten Proteste nicht abwürgen, fordert Staatsrechtler Markus Schefer – so lange diese gewaltlos sind.
SRF News: Wie bewerten Sie die Besetzungen an den Schweizer Unis aus juristischer Sicht?
Markus Schefer: Universitäten sind öffentlich-rechtliche Anstalten und sollen Bildung vermitteln. Sie sind aber auch Orte der kontroversen Auseinandersetzung, wo möglichst alle Ideen geäussert werden können. Gerade wenn die Ideen von jungen Studierenden kommen, muss man eine gewisse Grosszügigkeit haben. Ich denke, es ist wichtig, dass sich universitäre Leitungsorgane und insbesondere die Politik ein bisschen zurücknehmen und nicht allzu streng einfahren.
Es gibt aber Studenten, die davon nichts wissen und einfach ihre Prüfungen schreiben wollen, so aber gestört werden.
Natürlich muss die Uni ihre Kernaufgabe wahrnehmen. Sie kann etwa versuchen, Prüfungen in einen Hörsaal zu verlegen, wo es keine Proteste gibt. Die Uni sollte möglichst einen Ausgleich finden zwischen den Interessen, dass einerseits solche Meinungen geäussert werden können – auch wenn sie kontrovers und manchmal daneben sind – und andererseits der universitäre Betrieb aufrechterhalten werden kann.
Eine Exmatrikulation kann nur die letzte Massnahme sein.
An einigen Unis ist die Polizei eingeschritten. Was halten Sie davon?
Die Polizei darf hier nur das letzte Mittel sein, wenn man den universitären Betrieb mit anderen Mitteln nicht mehr aufrechterhalten kann. Denn das sendet auch ein Signal an die Öffentlichkeit, dass sogar an einer Uni junge Leute unter Umständen nicht mehr das sagen können, was ihnen zuvorderst ist.
Universitäten drohen, Studenten auszuschliessen, also eine Exmatrikulation, wenn sie die Besetzung weiterführen...
Eine Exmatrikulation kann nur die letzte Massnahme sein. Typischerweise müssen vorher andere Massnahmen ergriffen werden, damit dies verhältnismässig wäre.
Was wäre, wenn es zu Gewaltakten käme?
Die Meinungsäusserung soll friedlich erfolgen und sollte breite Möglichkeiten haben. Gewaltausübung hingegen ist nicht geschützt durch die Meinungsfreiheit. Man kann seinen Forderungen nicht Gehör verschaffen, indem man Scheiben zerschlägt oder einen Hörsaal zerstört.
Unsere Studierenden sind typischerweise recht zahm. Jetzt sind sie es mal nicht. Vielleicht sind wir uns das zu wenig gewöhnt.
Bürgerliche Kreise sagen etwa, solche Besetzungen seien grundsätzlich verboten. Schliesslich lebten wir in einem Rechtsstaat, wo nicht alle machen können, was sie wollen.
Darum würde ich bei ausgeübter Gewalt klar eine Grenze ziehen. Aber wir können unseren Bildungsauftrag nur wahrnehmen, wenn wir Toleranz und den Diskurs vorleben und Gesprächsbereitschaft signalisieren – auch in unangenehmen Situationen, wo man nicht mehr gerne redet, wo die Fronten verhärtet sind, wo die Meinungen extrem sind.
Gibt es Unterschiede zwischen den Protesten an Schweizer Unis und an solchen im Ausland?
Wir haben keine Geschichte, zumindest in der neueren Zeit, von sehr pointierten Meinungsäusserungen an Schweizer Unis. Unsere Studierenden sind typischerweise recht zahm. Jetzt sind sie es mal nicht. Vielleicht sind wir uns das zu wenig gewöhnt, dass auch Studierende mal über die Stränge schlagen und Dinge erzählen, die man besser nicht sagen würde. Aber ich denke, das ist Teil des Erwachsenenwerdens.
Das Gespräch führte Tobias Bossard.