Mit 112 Jahren ist die offene Rennbahn die älteste Radrenstätte auf Zürcher Boden. Auf der Tribüne sitzt nun Heier Lämmler. Er ist im Vorstand des Trägervereins und weiss, warum die Rennbahn ausgerechnet in Oerlikon steht: «Damals betrieben noch Private das Tramnetz. Und der Betreiber der Linie nach Oerlikon machte sich Sorgen, weil nicht genügend Menschen die Verbindung nutzten. Da musste er etwas unternehmen.»
Draussen auf der Rennbahn, drinnen im Hallenstadion
Der Trambetreiber war der Gründer der Rennbahn, die ab 1912 das Publikum in Scharen nach Oerlikon brachte – und die Tramlinie sanierte.
Es ging immer schon ums Spektakel bei den Radrennen – und auch um Geld. Das zeigt sich beim Hallenstadion, das 1939 direkt neben der offenen Rennbahn eröffnete. Denn bevor Eishockey und Konzerte gespielt wurden, wurde das Hallenstadion für Radrennen genutzt.
Das Velodrome entstand aus der Not, erzählt Heier Lämmler: «Wenn es auf der offenen Rennbahn in Strömen regnete, mussten die Rennen abgesagt werden, weil die Bahn glitschig wurde.» Eine Absage war ein teures Verlustgeschäft – eines, das durch die Verlegung der Rennen ins Hallenstadion verhindert werden konnte.
Die Radrennen im Oval des Hallenstadions waren so erfolgreich, dass die Organisatoren in den 1950er-Jahren auf eine besondere Idee kamen: Ein Sechstagerennen, das die Leute ins Stadion locken sollte – am Tag und vor allem auch in der Nacht.
Neue Möglichkeiten taten sich auf in einer Zeit, in der wegen der Polizeistunde nach 23:30 Uhr meist Ruhe herrschte in der Stadt. Heier Lämmler sagt: «Am Sechstagerennen konnte man bis um 2 Uhr morgens rauchen, zechen und feiern. Vielen war der Ausgang fast wichtiger als der Radrennsport.»
Auch, was den Sieger des Zürcher Sechstagerennens in den 1950er-Jahren erwartete, diente der Volksbelustigung: Der Zirkus Knie stiftete ein Pony, das mit dem Rennsieger eine Ehrenrunde drehte, den sogenannten Pony-Sprint.
Diese Sieger haben noch heute Legendenstatus: etwa Bruno Risi und Kurt Betschart, die Alpentornados aus Uri. Bruno Risi hat in Zürich 11 Mal gewonnen. 2009 sagte er vor seinem letzten Rennen: «Für mich ist die Faszination des Bahnsports der direkte Kontakt zum Publikum. Wenn die Leistung gut ist, dann machen die Leute mit.»
Klassisches Strassenrennen von 1910 bis 2007
Viel Publikum begeistert hat auch die Züri-Metzgete: ein klassisches Strassenrennen an einem Tag. Der Start war in Zürich, die Route führte über den Pfannenstiel meistens nach Bülach, bis in den Kanton Aargau und zurück nach Zürich.
Noch zwei Jahre vor der Eröffnung der offenen Rennbahn in Oerlikon startete 1910 die erste Züri-Metzgete. 2007 fand sie zum letzten Mal statt, da nicht genug Sponsoren gefunden wurden.
Bei dieser letzten Ausgabe fuhr auch Fabian Cancellara mit. Er sagte damals: «Ich kann zufrieden sein, dass ich das Rennen überlebt habe, weil es eine richtige Metzgete war heute».
Denn auch wenn die Züri-Metzgete im Herbst stattfand, hatte der Name weniger mit dem traditionellen Essen mit Blut- und Leberwürsten zu tun als mit den vielen Stürzen. Heier Lämmler sagt: «Die Rennfahrer bluteten manchmal tatsächlich so stark, als wäre man an einer Metzgete im Herbst.»
Aktuell sind die Radrennfahrer also zurück in Zürich für die Weltmeisterschaft – nach 1923, 1929 und 1946 bereits zum vierten Mal.