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Romandie Die politische Bedeutung des Apéros

In der Romandie sind Apéros für die Politik wichtiger als in der Deutschschweiz. Die Gründe.

Mitten in den Reben, mit Blick aufs Mont-Blanc-Massiv und auf die Landschaft des Chablais, liegt die urchige Schankstube des Weinguts L’Ovaille in Yvorne.

Hierhin hat Regierungsrätin Valérie Dittli zu einem jährlichen Fixpunkt in der Waadtländer Politagenda geladen: Der Präsentation der «vins d’honneur» und des «fromage d’excellence». Je einen Weiss- und einen Rotwein aus der Waadt haben die Regierungsmitglieder in einer Blind-Degustation ausgewählt. Die Produkte werden 2026 bei den Staatsanlässen des Kantons aufgetischt.

Fünf Personen mit Weinflaschen und Zertifikaten in einem Weinberg vor Bergkulisse.
Legende: Die Waadtländer Regierungsrätin Valérie Dittli und die ausgezeichneten Winzer und Käser. SRF

Die Auszeichnungen sind eine Marketingmassnahme für lokale Produkte. «Aber sie sind auch Ausdruck davon, wie wichtig Essen und Wein in der Romandie sind», sagt Valérie Dittli, die Zugerin, die für die Mitte in der Waadtländer Regierung sitzt. «Wein und Käse prägen hier die Politik.»

Braucht die Deutschschweizer Politik mehr Apéros?

Das zeigt sich auch daran, dass in der Waadt Regierung und Parlament je ein eigenes Carnotzet haben, ein Kellergewölbe, in dem Wein gelagert und Apéro getrunken wird. «Es tut gut, nach einer strengen Sitzung da reinzugehen, miteinander ein Glas zu trinken und über etwas anderes zu reden», sagt Dittli. Das sei oft die Basis für einen politischen Kompromiss.

Dittli glaubt, auch der Deutschschweizer Politik würden mehr Apéros guttun und empfiehlt dies immer mal wieder ihrer Schwester Laura, die in der Zuger Kantonsregierung sitzt.

Wein wird in ein Glas gegossen.
Legende: Wein hat in der Romandie eine besondere Stellung. (Symbolbild) KEYSTONE/Noemi Cinelli

Sean Müller, Politologe an der Universität Lausanne, ist da skeptischer. Die Deutschschweizer hätten die Entspannung beim Apéro weniger nötig als die Romands: «Man ist in der Deutschschweiz sonst schon direkter, die Hierarchien sind flacher. Ich habe den Eindruck, in der Romandie braucht man den Apéro als Ausgleich zum Formellen und Reglementierten dringender.» Das sei wohl auch der Grund, dass es in der Romandie viel häufiger Apéros gibt als in der Deutschschweiz.

Die zerstrittene Regierung der Waadt sollte öfter Apéro trinken

Dazu kommt, dass man in der Westschweiz generell einen engeren Bezug zu Wein und Essen hat. Das zeigt sich, wenn Westschweizer Medien die Verleihung von Michelin-Sternen an Gourmet-Restaurants live übertragen. Oder in der eigenwilligen Waadtländer Regelung des nächtlichen Alkoholverkaufs: Zwischen 21 Uhr und 6 Uhr darf kein Alkohol verkauft werden – ausser Wein.

Die Sonderstellung des Weins sei auch für Politikerinnen und Politiker in der Romandie relevant: «Es gehört zum guten Ton, dass man sich damit identifiziert und dass man Wein trinkt. Wenn jemand dann mal einen über den Durst trinkt, wird das dann auch weniger kritisch gesehen als in der Deutschschweiz», beobachtet der Politologe.

Die Kür der Staatsweine – ein Chasselas aus Yvorne und ein Gamay aus Orbe – und des Staatskäses – ein Gruyère – ist inzwischen zu Ende. Es folgt, natürlich, ein Apéro. Mit einem Glas Vin d’Honneur in der Hand die Nachfrage an Regierungsrätin Valérie Dittli: Müsste die völlig zerstrittene Waadtländer Regierung öfter Apéro trinken, um ihre Konflikte zu endlich zu kitten? Dittli lacht und sagt: «Ja, wir sollten in der Regierung wieder öfter ins Carnotzet gehen.»

Echo der Zeit, 23.12.2025, 18 Uhr

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