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Rücktritt aus dem Bundesrat Der unfassbare Herr Maurer

Am Schluss hat er mal wieder alle überrascht: Als Bundesbern nach einer anstrengenden Session gedanklich schon ins Erholungswochenende ging, gab er seinen Rücktritt bekannt. Aber eigentlich hätte man es ja wissen müssen: Wenn Ueli Maurer immer wieder treuherzig betont, dass er sicher noch bis Ende Legislatur weitermacht – vielleicht auch noch eine weitere Legislatur anhängt – dann müssten alle Alarmglocken läuten. Denn Ueli Maurer ist eine Wundertüte. Unberechenbar, ungewöhnlich, unfassbar.

Unfassbar ist allerdings auch seine Karriere. Vom KV-Stift zum Bundespräsidenten. Vom belächelten Parteisoldaten von Blochers Gnaden zum Staatsmann. Er hat in seiner Zeit als Parteipräsident die SVP zur mit Abstand grössten politischen Kraft der Schweiz gemacht, während gleichzeitig die halbe Schweiz über die Maurer-Parodie von Viktor Giacobbo lachte.

Trotz Energie nicht immer erfolgreich

Ueli Maurer wurde stets unterschätzt – ausser von denen, die ihn genau kannten. Basis für diese Karriere war eine unerschöpfliche Energie und eine gnadenlose Arbeitsdisziplin. Ueli Maurer war meist der Erste am Morgen im Büro – und oft der Letzte am Abend.

Obwohl Ueli Maurer Major in der Armee war, wirkte er in seinen ersten Jahren als Verteidigungsminister wie einer, dem sein Anzug nicht richtig passt. Die grossspurige Ankündigung, er wolle «die beste Armee der Welt», blieb eine grossspurige Ankündigung. Den Kampfjet Gripen, als Papierflieger verspottet, versenkte das Volk an der Urne diskussionslos. Daran war Bundesrat Maurer nicht unschuldig – immerhin gab er Fehler in der Abstimmungskampagne danach auch zu.

Es gelang ihm allerdings, die Verteidigungsausgaben, die vorher längere Zeit gesunken waren, zu stabilisieren und danach wieder auf einen steigenden Kurs zu bringen – aus Sicht der Armee ein Erfolg. Auch die Zusammenführung von Inlands- und Auslandsgeheimdienst kann er für sich beanspruchen.

Aufgeblüht als Wächter der Finanzen

So richtig blühte Ueli Maurer, Inhaber eines Eidgenössischen Buchhalterdiploms, aber erst nach seinem Wechsel ins Finanzdepartement auf. Er war ein strenger Finanzminister, bezeichnete sich gerne als Sparonkel, und las in dieser Funktion dem ausgabenfreudigen Parlament immer wieder die Leviten.

Die gesunden Staatsfinanzen hatte er zwar von seiner Vorgängerin Eveline Widmer-Schlumpf übernommen. Er hütete sie pfleglich, sodass die Schweiz auch finanziell deutlich besser durch die beispiellose Pandemie kam als die meisten anderen Länder.

Überhaupt: die Corona-Pandemie. Auch hier war und blieb Ueli Maurer unfassbar. Sein Gesellenstück lieferte er gleich zu Beginn, als er in einem für die sonst so behäbige Schweiz unglaublichen Tempo das Programm für die Corona-Kredite auf die Beine stellte. Und damit voraussichtlich tausende von Schweizer Unternehmen vor dem Ruin bewahrte. Später in der Pandemie-Zeit fiel Maurer durch seine Anbiederung an die Corona-Leugner-Szene auf, sein Auftritt im Hemd der Freiheitstrychler sorgte für Schlagzeilen und Stirnrunzeln.

Meister der kleinen Provokationen

Ueli Maurer war und ist ein Meister der kleinen Provokationen, ein Tänzer auf dem schmalen Grat zwischen Kollegialität und Opposition. Meist konnte er sich so diskret ausdrücken, wenn er anderer Meinung war als der Bundesrat. Ab und zu war es nur noch plumpe Provokation. An seiner Medienkonferenz zu seinem Rücktritt gab es eine weitere Kostprobe: Gefragt, ob er lieber eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger hätte, wollte er keine Präferenz abgeben, fügte aber an: «Solange es kein ‹Es› ist, geht es ja noch.»

Seine staatsmännische Seite zeigte sich dann in seinen zwei Jahren als Bundespräsident, wo es kaum Anlass zu Kritik gab. Oder bei der Aufgleisung des OECD-Mindeststeuer-Vorhabens, das für die Schweiz einschneidende Konsequenzen haben wird. Oder bei den G20, wo er die Schweiz als ständigen Gast etablieren konnte.

Ueli Maurer war und ist ein Bundesrat, der polarisiert, und bei dem man hin und wieder nicht weiss, ob er nur die anderen überrascht mit seinen Winkelzügen, oder sich selber auch gleich. Er ist aber vor allem auch ein Bundesrat, der grössere Spuren hinterlässt, als man ihm je zugetraut hätte. Ob es einem passt oder nicht.

Urs Leuthard

Leiter Bundeshausredaktion

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Seit Sommer 2020 ist Urs Leuthard Leiter der Bundeshausredaktion von Fernsehen SRF. Bereits seit 2002 moderiert er das «Abstimmungsstudio» und analysiert Wahlen und Abstimmungen. Bis 2008 war er Moderator und Redaktionsleiter der «Arena», danach wechselte er zur «Rundschau», bevor er 2012 die Redaktionsleitung der «Tagesschau» übernahm.

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SRF 4 News, Rendez-vous, 30.9.2022, 12:30 Uhr

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