Paul Wollenberger war ein jüdischer Kaufmann, der 1939 mit seiner Familie nach Liechtenstein geflüchtet war. Hier wurde er vom Schweizer Nachrichtendienst 1942 als Agent rekrutiert. Fortan beobachtete er die nationalsozialistische Bewegung im Fürstentum und schickte regelmässige Spionageberichte in die Schweiz.
Dieser Job war riskant. Als Wollenberger in Liechtenstein in Bedrängnis geriet, wollte er mit seiner Familie in die Schweiz flüchten. Doch er erhielt keine Aufenthaltsbewilligung. Stattdessen wurde er in der Schweiz interniert – während seine Familie in Liechtenstein des Vaters und der finanziellen Grundlage beraubt wurde.
Über 2000 Agenten im Dienst der Schweiz
Laut Historiker Christian Rossé beschäftigte der Schweizer Nachrichtendienst im Zweiten Weltkrieg viele Flüchtlinge als Agenten: «Das Interesse an den Flüchtlingen lag darin, dass sie gut informiert waren und Kontakte in ihrem Heimatland hatten», sagt er.
Dass sich die Schweiz nicht für Paul Wollenberger einsetzte, hat gemäss Historiker Rossé auch neutralitätspolitische Gründe: «Ein Land, das ausspioniert wird, kann sich angegriffen fühlen.» Die Unterstützung oder finanzielle Entschädigung von Agenten wäre ein Eingeständnis gewesen, dass die Schweiz Agenten im Ausland eingesetzt hatte.
Spione im bewaffneten Widerstand
1944 arbeitete auch Wilhelm Bruckner für den Schweizer Nachrichtendienst. Der junge Flüchtling aus Österreich spionierte im Vorarlberg und im Tirol. Doch sein Einsatz ging noch weiter: Er gründete die Widerstandsorganisation «Patria», die ein unabhängiges Österreich wollte und militärisch gegen die deutschen Besetzer vorging.
Während die «Patria» von Alliierten Geheimdiensten mit Waffen ausgestattet und finanziert wurde, war der Schweizer Nachrichtendienst anderweitig behilflich: Er erlaubte es Wilhelm Bruckner, Österreicher und Südtiroler aus Schweizer Internierungslagern für die «Patria» zu rekrutieren und stellte den Mitgliedern gefälschte Pässe zur Durchreise über die Grenze aus.
Neutralität aufgegeben
Mit der Unterstützung einer solchen Organisation habe sich die Schweiz klar positioniert, meint Historiker Gerald Steinacher, der die Geschichte der «Patria» untersucht hat: «Aus meiner Sicht ist das die Aufgabe der Neutralität. Man hat sich für eine Seite entschieden und gegen Nazideutschland gestellt.»
Tatsächlich versuchte die offizielle Schweiz nach dem Krieg, diese Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendienst und der «Patria» herunterzuspielen. Die Bundesanwaltschaft warnte Bundesrat Eduard von Steiger vor «dem möglichen Schaden (…) der der Schweiz (…) entstehen könnte», wenn der Fall Bruckner an die Öffentlichkeit käme.
Tragische Schicksale
Die Geschichten beider Agenten endeten tragisch: Wilhelm Bruckner, der nach dem Krieg in der Schweiz bleiben wollte, wurde gewaltsam ausgeschafft und erhielt ein Einreiseverbot. Paul Wollenberger wurde erst Jahre nach dem Krieg aus der Internierungshaft entlassen. Dann erst durfte er seine Familie in die Schweiz holen. Sein Sohn Werner Wollenberger wurde ein bekannter Journalist und Autor der Hymne: «Mys Dach isch de Himmel vo Züri». Sein Vater Paul Wollenberger jedoch blieb ein gezeichneter Mensch.