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Ein Grenzwächter begleitet am Bahnhof eine Gruppe von Migranten.
Legende: Viele der im Tessin ankommenden Migranten sind Minderjährige aus Afrika. Keystone Archiv

Schweiz Zahl der Flüchtlinge im Tessin steigt deutlich an

Im Tessin nimmt die Zahl der einreisenden Migranten sprunghaft zu. Allein in der ersten Juniwoche wurden mehr als 700 Personen registriert, nachdem es nur wenige Wochen zuvor erst rund 200 waren. Die Menschen stammen meist aus Afrika, viele von ihnen sind minderjährig.

Immer mehr Migranten und Flüchtlinge reisen von Italien her im Tessin in die Schweiz ein. Zuletzt zählten die Behörden mehr als 700 Personen in einer Woche. Zurzeit habe die Grenzwache die Lage im Griff, heisst es von der Behörde. SRF-Tessin-Mitarbeiter Gerhard Lob schildert im Gespräch, wie er die Lage vor Ort erlebt.

Gerhard Lob

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Gerhard Lob berichtet regelmässig für Radio SRF aus dem Tessin. Der Journalist figuriert auch für den «Tagesanzeiger», den «Bund», die «Berner Zeitung» und das «St. Galler Tagblatt» als Korrespondent des Südkantons.

SRF News: Wie macht sich im Tessin der Anstieg der Flüchtlingszahlen bemerkbar?

Gerhard Lob: Man sieht die Folgen vor allem am Bahnhof von Chiasso. 80 bis 90 Prozent der Migranten fahren im Zug von Mailand nach Norden und kommen so in Chiasso an. Der Grenzort ist damit der derzeitige Hotspot der illegalen Immigration in die Schweiz. Das Grenzwachtkorps kontrolliert die Züge minutiös und erfasst die Migranten. Die meisten von ihnen werden zum Empfangs- und Verfahrenszentrum des Bundes begleitet, das nur wenige dutzend Meter vom Bahnhof entfernt liegt. Viele stellen dort ein Asylgesuch, nur rund zehn Prozent der Ankömmlinge werden im Rahmen des Dublin-Abkommens gleich wieder nach Italien zurückgeschickt.

Der Chef des Schweizer Grenzwachtkorps, Jürg Noth, sagt, das GWK könne die Situation trotz des starken Anstiegs derzeit «problemlos» meistern. Deckt sich diese Einschätzung mit Ihren Eindrücken?

Ja. Von einem Chaos, wie manchmal kolportiert wird, kann keine Rede sein. Das GWK und die Aufnahmezentren sind gut organisiert und auf diese Situation vorbereitet. Zudem ist es ein erklärtes Ziel der Tessiner Behörden, Zustände mit campierenden Flüchtlingen oder ähnliches zu vermeiden. Auch sind hier derzeit genügend Grenzwächter anwesend, ihre Zahl wurde auf Kosten anderer Grenzabschnitte im Tessin ja verstärkt.

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Im Mai waren es hauptsächlich afrikanische Flüchtlinge, die über Italien in die Schweiz einreisten. Hat sich das inzwischen geändert?

Nein. Die meisten Migranten, die derzeit im Tessin ankommen, stammen aus Ländern wie Eritrea, Nigeria, Somalia, Gambia oder Äthiopien. Dass die Zahl der Flüchtlinge im Mai zunimmt ist jedes Jahr zu beobachten. Das hat damit zu tun, dass die Route übers Mittelmeer bei schönem, ruhigen Wetter leichter zu bewältigen ist und entsprechend mehr Boote in Nordafrika ablegen als im Winterhalbjahr. Auffällig ist, dass bei den minderjährigen Flüchtlingen, die nicht von Erwachsenen begleitet werden, eine starke Zunahme zu beobachten ist. Sie stellen bekanntlich eine besonders grosse Herausforderung für die Behörden dar.

Es hat bislang also keine Verschiebung der Balkanroute gegeben? Es kommen also nicht mehr Flüchtlinge aus Syrien über Italien nach Europa?

Das ist die grosse Unbekannte und man fragt sich, ob das als nächstes folgt. Bisher ist dies nicht in grossem Massstab festzustellen. Entsprechend sind unter den im Tessin ankommenden Flüchtlingen nur ganz wenige Syrer und schon gar keine Familien. Offenbar wirkt die Fluchtroute übers Mittelmeer, auf der bekanntlich immer wieder viele Menschen ums Leben kommen, abschreckend auf sie.

Das Interview führte Philippe Chappuis.

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