In einem Café bei der Genfer Kantonsverwaltung laufen Kaffeemühle und Espressomaschine am Morgen auf Hochtouren. Die jungen Baristi, der eine aus Italien, der andere aus Frankreich, sind gut gelaunt und engagiert bei der Arbeit. Dass sie in der Gastronomie und damit einer Tieflohnbranche arbeiten, ist kein Problem für sie.
Nach der Einführung des Mindestlohns im November 2020 sind die Löhne in Genf auch in der Gastronomie kräftig angestiegen. Die Baristi bestätigen, ihr Patron zahle ihnen den Mindestlohn – das sind 24 Franken und 48 Rappen pro Stunde.
«Der Mindestlohn ist etwas Gutes, er bietet eine finanzielle Grundlage», sagt der eine Mitarbeiter. Sein Kollege ist ebenfalls zufrieden, auch wenn er sich für Genf einen höheren Mindestlohn wünscht, weil das Leben in der Stadt teuer sei.
Wenige Meter vom Café entfernt, im Volkswirtschaftsdepartement, präsentierte der Genfer Wirtschaftsprofessor José Ramirez am Donnerstag die wissenschaftliche Sicht auf den Mindestlohn. Zwei Studien zur Arbeitslosigkeit hat Ramirez schon vorgelegt. Darin zeigt er: Der Mindestlohn hat nicht zu mehr Arbeitslosigkeit geführt.
In einer dritten Studie fokussiert Ramirez nun auf die Schaffung oder den Verlust von Arbeitsplätzen für die Jahre 2020 bis 2022. Auch hier bleiben die von der Privatwirtschaft befürchteten Verwerfungen weitgehend aus.
Mindestlohn bringt Frauen in den Arbeitsmarkt
Negative Folgen hat Ökonom Ramirez in gewissen Sektoren dennoch ausgemacht. «In der Gastronomie und Hotellerie sind keine Stellen abgebaut, dafür aber die durchschnittlichen Arbeitspensen reduziert worden», sagt er.
Der Mindestlohn bremst den männlich dominierten Arbeitsmarkt.
Patrons haben als erste Reaktion also Arbeitspensen reduziert, um die Lohnerhöhungen zu kompensieren. Das beunruhigt Ramirez aber nicht. Er hält eine andere Entwicklung für entscheidender: Im Genfer Arbeitsmarkt finden immer mehr Frauen eine Stelle. Dank des Mindestlohns verdienen sie gleich viel wie die Männer.
«Der Mindestlohn bremst den männlich dominierten Arbeitsmarkt», sagt Ramirez. Dass die Frauen aufholen, wundert den Ökonomen aber nicht. Er sagt, die Frauen seien immer besser gebildet. Und weil die Patrons heute Frauen und Männern denselben Lohn zahlen müssten, entschieden sie sich häufig für die besser qualifizierte Frau.
Support aus dem Staatsrat
Die gestiegene Lohn- und Chancengleichheit zwischen Mann und Frau überzeugt die Genfer Volkswirtschaftsdirektorin Délphine Bachmann. Für sie ist der Mindestlohn eine sozialpolitische und keine wirtschaftspolitische Massnahme. 58 Prozent der Genferinnen und Genfer hätten ihr zugestimmt.
Bachmann will den Genfer Mindestlohn nicht mehr hergeben, auch wenn das Bundesparlament in Bern gerade das Gegenteil anstrebt.