Zum Inhalt springen

Sexuelle Gewalt im Schulalltag Sexistische Sprüche und Grabschen – so können Schulen eingreifen

Auch an Schulen erleben Teenager sexuelle Übergriffe, und viele kennen ihre Grenzen und Rechte nicht. Lehrpersonen holen vermehrt Hilfe bei Fachstellen.

Durchdringende Blicke, sexistische Sprüche, ungewollte Berührungen. Die Schule ist besonders für Mädchen in der Oberstufe nicht nur eine «heile Welt». Das zeigt die Jugendbefragung aus Zürich vom Juni 2022, in welcher jedes dritte Mädchen der elften Klasse sexuelle Belästigungen im schulischen Kontext angekreuzt hat.

Angst und Scham spielen mit

Das beobachten auch Lehrerinnen und Lehrer. Ein Beispiel gibt Oberstufenlehrerin Eva im Kanton Bern: «Ein Mädchen erzählte mir, ein Junge möchte von ihr, dass sie sich auf seinen Schoss setze. Das sei ihr unangenehm. Trotzdem höre er nicht auf und frage sie immer wieder.»

In einem anderen Fall mit Hinweisen auf «Bodyshaming» liess eine Lehrerin das Mädchen seine Erlebnisse aufschreiben. In ihrem Text legte die Jugendliche dar, sie würde gerne «einmal einen Tag mit Freude zur Schule kommen – ohne Angst zu haben, dass mein Körper kommentiert wird».

Schweigen und leiden

Zu dicke Beine, zu kleine Brüste, zu dünne Lippen. Das ständige Kommentieren und Sexualisieren des Körpers löst bei vielen Jugendlichen Stress und Scham aus. Doch gemäss den Erfahrungen der Berner Lehrerin sprechen selbst beste Freundinnen nicht darüber, obwohl alle darunter leiden.

Es fehlt eine Art Kompass für das, was noch stimmt und was übergriffig ist.
Autor: Eva Oberstufenlehrerin aus dem Kanton Bern

Unsicherheiten in Bezug auf den eigenen Körper seien in diesem Alter normal, früher wie heute. Aber soziale Medien mit den bearbeiteten Profilbildern und Schönheitsidealen machten es den Jugendlichen nicht einfacher, sich selbst zu sein und ihre eigenen Grenzen im sexuellen Bereich zu setzen. «Es fehlt eine Art Kompass für das, was noch stimmt und was übergriffig ist», folgert die Berner Lehrerin.

Externe Fachstellen stehen bereit

Viele Schulen greifen hier auf externe Hilfe zurück. Zum Beispiel auf das Angebot von «Lust und Frust», einer Fachstelle für Sexualpädagogik der Stadt Zürich. Leiterin Lilo Gander bestätigt, dass das Thema Grenzsetzung im schulischen Kontext an Gewicht gewonnen hat: «Lehrpersonen wünschen sich heute oft, dass wir Themen wie Nähe und Distanz, Umgang und Flirten als externe Personen mit der Schulklasse umsetzen.»

Schulpause (Symbolbild)
Legende: Die Schule als Tatort sexueller Übergriffe stand bei der neusten Zürcher Jugendbefragung vom Juni auf dem zweiten Platz. Zwar klar hinter dem öffentlichen Raum wie etwa Tram oder Disko, aber vor dem häuslichen Bereich wie eigenes Zuhause oder Wohnung von Drittpersonen. Keystone/Esther Kaufmann

Die Schulklassen werden dabei in eine Mädchen- und eine Bubengruppe getrennt. Es gibt kurze Infoblöcke und viel Zeit zum Diskutieren. Die Jugendlichen sollen lernen, dass sie das Recht haben, Ja oder Nein zu einer sexuellen Handlung zu sagen, so Sexualpädagogin Gander.

Die Jugendlichen sollen lernen, dass sie das Recht haben, Ja oder Nein zu einer sexuellen Handlung zu sagen.
Autor: Lilo Gander Leiterin der Fachstelle für Sexualpädagogik Stadt Zürich

Im Vergleich zu früher gebe es heute mehr Methoden und pädagogisches Material, um das Thema sexueller Umgang und Rechte zu vermitteln, stellt Gander fest. Das mache die Arbeit etwas einfacher, aber noch lange nicht überflüssig: «Vor allem Mädchen staunen noch oft, dass sie als eigenständige Persönlichkeiten Rechte haben und Grenzen ziehen dürfen.»

Nicht nur die Schulen in der Pflicht

Gander beobachtet zugleich, dass viele Schulen das Thema sexuelle Gewalt unter Jugendlichen ernst nehmen. Diesen Eindruck teilt auch die oberste Lehrerin der Schweiz, Dagmar Rösler, Präsidentin des Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Viele Lehrpersonen seien heute sensibilisierter, hätten Augen und Ohren offen, wie auch Rückmeldungen aus der Schulsozialarbeit belegten.

Es ist auch ein gesellschaftliches Problem, das die Schule alleine nicht lösen kann.
Autor: Dagmar Rösler Präsidentin Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer LCH

Rösler sieht zugleich nicht nur die Schulen in der Pflicht:  «Es ist auch ein gesellschaftliches Problem, das die Schule alleine nicht lösen kann.» Eine sichere Schule, ein guter Umgang unter den Jugendlichen liege auch in der Hand der Eltern und der Gesellschaft als Ganzes.

Rendez-vous, 23.11.2022, 12:30 Uhr

Meistgelesene Artikel