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Stress in der Schule Kuschelpädagogik? Warum sich Kinder zum Lernen wohlfühlen müssen

Über eine Million Kinder und Jugendliche sind seit dieser Woche wieder in der Schule. Die Unterrichtsforscherin Tina Hascher von der Universität Bern erklärt im Gespräch, warum das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler keine Nebensache ist, sondern die entscheidende Grundlage für den Lernerfolg.

Tina Hascher

Erziehungswissenschaftlerin, Universität Bern

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Tina Hascher ist seit 2013 Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bern. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Emotionen und Motivation in Schule und Unterricht, Wohlbefinden und Gesundheitsförderung in der Schule und die Lehrerinnen- und Lehrerbildung.

SRF News: Ihre Forschung zeigt: Kinder, die sich wohlfühlen, lernen besser. Ist das die viel zitierte Kuschelpädagogik?

Tina Hascher: Das höre ich öfter. Aber Wohlbefinden ist die Grundlage für jede Form von Leistung, nicht deren Gegenteil. Wenn man in der Schule eine Fremdsprache lernt, etwas vorsingt oder eine Matheaufgabe an der Tafel lösen muss, macht man sich verletzlich. Man zeigt, was man vielleicht noch nicht kann. In einem Klima, in dem ich mich wohlfühle, in dem Fehler dazugehören und ich nicht ausgelacht werde, kann ich mich auf das Lernen einlassen.

Was genau verstehen Sie unter Wohlfühlen in der Schule?

Es betrifft die ganze Schule. Das fängt damit an, ob ich einen Ort habe, an dem ich mich auf den Unterricht vorbereiten und Mitschülerinnen und Mitschüler um Hilfe bitten kann. Zentral ist, dass die Lehrperson an meine Lernfähigkeit glaubt – auch wenn ein Thema mal mühsam ist.

Kinder sitzen in einer Klasse, ein Lehrer liest vor.
Legende: Wer sich von Lehrpersonen und Mitschülerinnen und Mitschülern getragen fühle, lerne besser, sagt Unterrichtsforscherin Tina Hascher. KEYSTONE/Michael Buholzer

Angesichts des Leistungsabfalls bei Schülerinnen und Schülern: Sollte man nicht zuerst das Lernen in den Fokus rücken, statt das Wohlfühlen?

Man braucht beides. Es ist kein Widerspruch. Die Schüler lernen ja nicht besser, wenn sie sich weniger wohlfühlen. Im Gegenteil: Wohlbefinden ist die Grundlage, um sich den Herausforderungen überhaupt zu öffnen. Vokabeln zu lernen oder ein Diktat zu üben, macht nicht immer Freude. Aber wenn ich mich sicher fühle, bin ich eher bereit, auch diese anstrengenden Phasen durchzustehen.

Wie können Lehrpersonen das konkret fördern?

Ein Kernbegriff ist das Kompetenzerleben. Schüler müssen ihre eigenen Fortschritte sehen. Wir haben in Studien gesehen: Ein Kind, das seine Note in Mathematik von einer 4 auf einer 4 hält, denkt oft, es habe nichts dazugelernt. Dabei hatte es ein ganzes Jahr Unterricht.

Ein gutes Klima reduziert Probleme im Klassenmanagement und beugt der Frustration bei Schülern und Lehrern vor.

Eine gute Lehrperson macht diese Lernentwicklung sichtbar und sagt: Schau, das konntest du vor einem halben Jahr noch nicht, und das kannst du jetzt. Der Fokus liegt auf dem Lernfortschritt, nicht nur auf der Note.

Lernen ist also nicht immer Spass?

Lernen ist anstrengend, manchmal sogar schmerzhaft. Genau deshalb ist eine Umgebung so wichtig, die diese schwierigen Situationen wahrnimmt und den Kindern hilft, darüber hinwegzukommen und dranzubleiben.

Sie verlangen damit aber viel von Lehrerinnen und Lehrern, die bereits unter Druck stehen.

Es ist richtig, aber die meisten Lehrpersonen, die auf ein gutes Klima achten, bekommen das unmittelbar zurück. Wenn die Kinder motiviert sind und mitmachen, kann ich ganz anders unterrichten. Ein gutes Klima reduziert Probleme im Klassenmanagement und beugt der Frustration bei Schülern und Lehrern vor. Es ist nicht das Allheilmittel, aber es ist die wesentliche Grundlage, ohne die Lernen nicht funktioniert.

Das Gespräch führte David Karasek.

Tagesgespräch, 20.08.2025, 13 Uhr ; 

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