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Terrorverdächtiger packt aus So weit verflochten war das Schweizer IS-Netzwerk

Er gilt als einer der gefährlichsten Dschihadisten, welche sich der Terrororganisation «Islamischer Staat» (IS) angeschlossen haben. Jetzt spricht Daniel D. in einem Interview mit «10vor10» von SRF.

Vor einigen Wochen war der heute 24-jährige Spanisch-Schweizerische Doppelbürger Daniel D. aus Genf von kurdischen Truppen, die gegen den IS kämpfen, in Syrien verhaftet worden.

Wie «10vor10» berichtet, gibt es mehrere Indizien, die den Mann belasten. Darunter eine Mitteilung, die er über ein verschlüsseltes Textnachrichten-Programm einer ihm nahestehenden Person schickte.

Das bestätigt der Terrorismus-Analyst Jean-Paul Rouiller vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP): «Es gibt mindestens eine Unterhaltung, in der Daniel gefragt wird, ob er sich eine Rückkehr in die Schweiz vorstellen könne. Seine Antwort: Falls er zurückkomme, dann um sich in die Luft zu sprengen.» Das sei vor rund zwei Jahren gewesen – ob er diese Absicht bis heute hegt, ist offen.

Ein Journalist im Auftrag von SRF konnte Daniel D. nun Fragen stellen und konfrontierte ihn auch mit Recherchen, wonach er in Anschlagspläne gegen die Schweiz involviert sei. Das bestreitet er. «Ich habe niemals einen Anschlagsplan gegen die Schweiz in Erwägung gezogen.»

Dass der Genfer Daniel D. eine wichtigere Rolle innehatte, als er im Interview glauben machen will, sagt auch der renommierte französische Terrorexperte Jean-Charles Brisard, Präsident des Zentrums für Terrorismusanalysen (CAT).

2015 war Daniel D. aus Genf zum IS gereist – fast vier Jahre hat er im selbst ernannten Kalifat gelebt. Bereits in Genf hatte er Kontakte zu Islamisten geknüpft, auf die er später zurückgreifen würde. Er entwickelte ein veritables Netzwerk. Auch mit anderen Schweizern im IS.

«10vor10» hat sein Beziehungsgeflecht während Monaten recherchiert. Dazu gehören folgende Personen:

Daniel D. und Damien G. aus Orbe (VD)

Damien G. war vor Daniel nach Syrien gereist. Die beiden Westschweizer lernen sich offenbar erst in Syrien kennen. Damien G. befindet sich heute ebenfalls in Gefangenschaft kurdischer Truppen im Nordosten Syriens.

Auch ihn halten die Schweizer Behörden für einen gefährlichen Schweizer. So setzte er auch konkrete Drohungen ab, etwa einen Tweet mit dem Bild eines Sprengstoffgürtels, in dem ein Schweizer Pass steckt.

Bomben-Tweet als Scherz

SRF konnte Damien über einen Mittelsmann im Gefängnis einige Fragen stellen – dabei bezeichnete er den Bomben-Tweet als Scherz. Die Frage, welche Einstellung er denn gegenüber der Schweiz habe, liess er allerdings offen. Dazu wolle er nichts sagen.

Die Schweiz als Ziel des IS? Was vielen in der Schweiz unwahrscheinlich erscheinen mag, muss nach dem Interview mit Daniel D. in einem neuen Licht betrachtet werden – denn wie der Genfer bezeugt, hat der IS offenbar Personen gesucht, die bereit wären, hierzulande einen Anschlag zu verüben.

Etwa er: «Sie fragen uns, ob jemand sein eigenes Land angreifen will. Mich haben sie gefragt von wo ich komme, ich sagte aus der Schweiz. Dann fragten Sie mich, ob ich die Schweiz angreifen wolle. Ich habe gesagt, nein.»

Im Widerspruch zu seinem Dementi steht allerdings, dass Daniel D. von Interpol gesucht wurde. Als potentieller Attentäter gegen westliche Ziele. Die britische Zeitung «The Guardian» hatte im Sommer 2017 erstmals über diese Liste berichtet.

«10vor10» konnte die Liste einsehen. Für den Terrorexperten Brisard ist klar, dass im IS nicht jedermann mit der Frage eines möglichen Anschlags konfrontiert werde.

«Das zeigt, dass man ihm vertraut. Deshalb fragt man ihm nach seiner Meinung, deshalb ist er auch auf dem Laufenden.» Das gleiche gelte für den anderen Schweizer, Damien.

Bei ihm wisse man, dass er auf dem Laufenden war bezüglich des Attentates in Paris. «Er hat seiner Schwester Nachrichten geschrieben, weil er dachte, sie sei zu diesem Zeitpunkt in Paris. Das zeigt, dass auch er Vertrauen genossen hatte, dass er von dieser Tat wusste.» Zwei Schweizer also, die in den Vertrauenszirkel des IS aufgestiegen sind.

Daniel D. – Ajdin B.

Ajdin B. ist bereits seit Januar 2018 in kurdischer Haft, seine Frau und Tochter sind in einem Camp interniert, SRF konnte die Frau im Sommer 2018 interviewen.

Sie und Ajdin beteuern, sie hätten sich bald nach Ankunft im selbst erklärten «Kalifat» von der Terrororganisation losgesagt, seien untergetaucht, hätten flüchten wollen.

Daniel D. und Ajdin B. kennen sich: «10vor10» legte ihm ein Bild vor, das er sofort erkannt und Ajdin B. mit dessen Kunya, dem Kampfnamen, benennt. Die beiden waren höchst wahrscheinlich in derselben IS-Brigade eingeteilt.

Die drei heute in Syrien inhaftierten Schweizer IS-Verdächtigen haben sich also gekannt. Was genau Daniel D. gemacht hat, lässt sich nicht restlos klären. Doch es finden sich Zeugen, die ihn belasten. Bekanntschaften aus dem IS, die jetzt gegen ihn aussagen.

Daniel D. – Jonathan G.

Ein Zeuge ist Jonathan G., alias Abu Ibrahim Al Firansi. Dieser wurde in der Türkei verhaftet, nach Frankreich überstellt und muss sich nun der Justiz stellen.

Gerichtsakten, die SRF einsehen konnte, zeigen: Jonathan G. bezeugt, mit Daniel D. an einer Schlacht teilgenommen zu haben, jener um den Flughafen Kuweires bei Aleppo. Damit konfrontiert sagt Daniel D. im Interview mit SRF, er sei nur Wache gestanden.

Daniel D. – Ramzy B.

Eine der brisantesten Verbindung ist jene zum Franzosen Ramzy B. Diesen hat er in der Schweiz kennengelernt. Ramzy, ursprünglich Tunesier, wohnte wie Daniel in Genf. Zusammen besuchten sie die Grosse Moschee im Quartier Petit Saconnex.

Daniel D. enthüllt erstmals, welche Rolle sein inzwischen getöteter Freund aus Genf beim IS innehatte: «Er war involviert mit allem was mit Operationen im Ausland zu tun hatte.»

Er hatte Anschlagspläne gegen eine Kirche in Rom. In Paris das Geschäftsviertel La Défense – und in der Schweiz.

Sie hätten sich sehr nahe gestanden. «Ich war Zeuge von manchen seiner Tätigkeiten. Doch ich habe mit all dem nichts zu tun. Er hatte Anschlagspläne gegen eine Kirche in Rom. In Paris das Geschäftsviertel La Défense – und in der Schweiz.» Er wisse jedoch nicht wo. Er habe viel geredet. «Er war jedenfalls in die Pläne verwickelt.»

Sein Freund plant Anschläge, erzählt ihm davon – doch Daniel D. will damit nichts zu tun gehabt haben.

Wie glaubwürdig ist das? Die Einschätzung des Terrorismusexperten Rouiller ist deutlich. «Wenn Ramzy in Anschlagspläne involviert war, aber Daniel nicht, dann hätte es keinen Grund gegeben, überhaupt mit ihm darüber zu sprechen – schon recht nicht über Ziele wie La Défense in Paris.»

Daniel nur als Mitwisser, auch von einem Plan gegen die Schweiz? Aber einzig Ramzy hätte daran gearbeitet? «Schwer zu glauben», fügt Rouiller hinzu.

Daniel D. – Kevin Z. / Nicholas P.

Ebenfalls in der Genfer Moschee kennen gelernt hat Daniel die beiden Konvertiten Kevin Z. und Nicholas P. Zu ihnen hielt er auch Kontakt, nachdem er ausgereist und dem IS beigetreten war und die beiden später nach Marokko auswanderten – dort sitzen Kevin Z. und Nicholas P. heute im Gefängnis.

Im Nachgang zum Doppelmord an zwei skandinavischen Touristinnen wurden sie als mögliche Hintermänner verhaftet. Sie bestreiten die Vorwürfe und wollen ihre Verurteilungen anfechten.

Aus den Ermittlungen in Marokko sind weitere brisante Verdachtsmomente hervorgegangen: angebliche Anschlagspläne in der Schweiz.

So gab Kevin Z. an, Daniel D. habe ihn aus Syrien kontaktiert und ihn gefragt, ob er ihm einen Passkopie von sich übermitteln könne. Allem Anschein nach plante Daniel D. eine Rückkehr in die Schweiz. Für eine «dschihadistische Operation», so jedenfalls die Aussage von Kevin Z. in Marokko.

Daniel D. nimmt im SRF-Interview erstmals dazu Stellung – und bezeichnet die Aussage als Lüge.

Rückkehr in die Schweiz war ein Thema

Ebenfalls Nicholas P. warfen die marokkanischen Behörden Anschlagspläne vor, wobei die Grundlage bislang unklar blieb. Gesichert scheint, dass Daniel D. und Nicholas P. noch bis kurz vor dessen Verhaftung in Kontakt standen.

So übermittelte Daniel D. im November 2018 eine Botschaft an Nicholas P., wie dessen Frau im Interview mit SRF bestätigte.

Auch darin ging es offenbar um eine Rückkehr in die Schweiz. Nicholas P. sollte jemanden im Umfeld der Grossen Moschee kontaktieren, der Daniel D. helfen sollte. Ihr Mann habe die Nachricht aber nicht weitergeleitet, sagt Nicholas P.s Frau.

Daniel D. – Milutin J. – Ana G.

Daniel D. gibt zwar zu, sich bewusst dem IS angeschlossen sowie eine militärische Basisausbildung durchlaufen zu haben. Doch mit Anschlagsplanungen im Westen will er nichts zu tun gehabt haben. Die Zweifel daran mehren sich, wenn man eine weitere Verbindung zu einem Schweizer Terrorverdächtigen analysiert:

Zu Milutin J. aus Yverdon, verhaftet im November 2017 in Frankreich. Er soll zusammen mit einer Gruppe von Komplizen in Frankreich Anschläge geplant haben – und zusammen mit seiner Ehefrau Ana G. sprach er über mögliche Attentatsziele in der Schweiz, darunter das Schienennetz und einen Nachtclub in Lausanne, wie «10vor10» enthüllt.

Seine Frau, eine Kolumbianerin, wurde darauf des Landes verwiesen und in ihre Heimat ausgeschafft. Beide bestreiten die Pläne, Verurteilungen sind keine bekannt.

SRF konfrontiert Daniel D. mit einem Foto von Milutin J. – er will ihn nicht erkennen. Aus Quellen in Sicherheitskreisen weiss SRF allerdings: Daniel D. stand mit Milutin J. in Kontakt via eine verschlüsselte Kommunikations-App. Und zwar just in jener Zeit, als Milutin J. mit seinen angeblichen Komplizen sowie seiner Frau über mögliche Anschläge sprach.

Daniel D. – Damien G. – Ajdin B.

Hier, bei der Beziehung mit Milutin J., schliesst sich der Kreis: Denn mit dem Terrorverdächtigen Milutin verbunden sind auch Damien G. und Ajdin B.

Damien G. und Milutin J. waren wenige Kilometer voneinander entfernt aufgewachsen, gingen in dieselbe Schule und waren gemäss Augenzeugen befreundet. Von Syrien aus nahm Damien G. wieder Kontakt zu einem ehemaligen Schulfreund auf. Auch in diesem Kontakt ging es offenbar um die angeblichen Anschlagspläne von Milutin J.

Ajdin B. und Milutin J. waren noch enger befreundet, sie kannten sich aus Lausanne. Auch ihre jeweiligen Ehefrauen standen in Kontakt. Ajdin B. leitete sogar die islamische Vermählungszeremonie zwischen Milutin und seiner kolumbianischen Frau.

Kontakt wurde gehalten

Als Ajdin und seine Frau Lausanne verliessen und zum IS reisten, blieben Milutin und Ana zurück, hielten aber Kontakt mit ihrem befreundeten Paar, das ist Gerichtsakten aus Frankreich zu entnehmen.

Während sein bester Freund Ramzy B. Mitglied jener Gruppe war, die Anschläge im Westen plante, will Daniel D. zuhause gewesen sein.

Alleine das erscheint unglaubwürdig – kommt hinzu, dass er im Zentrum steht von mehreren Personen, die offenbar in Anschlagspläne gegen die Schweiz verwickelt sind, oder ihnen dies vorgeworfen wird: Ramzy B., Nicholas P., Milutin J.

Das Profil von Daniel D. erinnert den Terrorismusexperten Brisard an speziell ausgewählte Personen im IS, die im Ausland Personen finden und anleiten sollen, um Anschläge selbstständig durchzuführen, ohne sich zuvor physisch beim IS aufgehalten zu haben, sogenannte Inspiratoren:

Daniel D. selber dementiert im Interview vehement, in Anschlagspläne verwickelt gewesen zu sein. Er sei nach Syrien gegangen, um nach den Gesetzen Allahs zu leben, wie er sagt. Gearbeitet habe er mitunter als Pizzaverkäufer.

«Zuletzt haben wir zusammen mit Freunden ein kleines Restaurant eröffnet, um Geld zu verdienen. Wir haben Sandwiches und Pizza verkauft, das ist alles. Um zu leben, denn es gab ja kein Geld.»

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