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Ukraine-Krieg War die Kiew-Reise gegen die Neutralität?

In der letzten Woche flammte die Diskussion, welche Rolle die Schweiz im Ukraine-Krieg einnimmt, wieder auf. Am Wochenende wurde bekannt: Die Schweiz blockierte eine Waffenlieferung aus Deutschland – da die Gepard-Munition aus der Schweiz stammt.

Einschätzung zum Parlamentsbesuch von Luzia Tschirky

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Die SRF-Russland-Korrespondentin Luzia Tschirky schätzt die Wirkung der Staatsbesuche in der Ukraine und in Russland folgendermassen ein:

Der Ukraine geht es bei den Einladungen und den Staatsbesuchen in erster Linie darum für Unterstützung zu weibeln. Je mehr Politikerinnen und Politiker aus dem Ausland die Zerstörung und das Leid mit eigenen Augen gesehen haben, umso mehr werden sie sich in ihren eigenen Ländern dafür einsetzen die Ukraine zu unterstützen. Denn es macht einen Unterschied, ob jemand Bilder und Videos aus dem Kriegsgebiet sieht, oder ob man die ausgebrannten Wohnhäuser selbst riecht und man sich am Abend den Staub aus dem Gesicht waschen muss. Es gab bereits mehrere sehr wichtige Besuche aus dem Ausland, wie beispielsweise der gestrige Besuch des UN-Generalsekretärs. Diese werden auch in Moskau wahrgenommen und der Kreml reagiert auf dieses Treffen mit Raketenangriffen auf die ukrainische Hauptstadt. Im Vergleich zu solchen Treffen wird einem Besuch von Parlamentspräsidentin Irène Kälin verhältnismässig wenig Bedeutung beigemessen. Nichtsdestotrotz hat man in der Ukraine sehr positiv darauf reagiert, dass die Schweiz sich den Sanktionen der Europäischen Union angeschlossen hat. Die Menschen in der Ukraine erleben die grösste Katastrophe ihres Lebens, sie sind weiterhin auf jede Hilfe angewiesen. Der ukrainische Präsident sagte gestern jedes Land würde die Ukraine gemäss den eigenen Möglichkeiten helfen. Grundsätzlich wiederholen hier aber alle Gesprächspartner immer wieder eine Sache: Unterstützung für die Armee sei das, was die Ukraine zurzeit am meisten brauche. Dabei geht es nicht nur um schwere Waffen, sondern beispielsweise auch um Fahrzeuge, wie etwa Jeeps mit welchen Soldaten zur Frontlinie hin- und wegfahren können.»

Dann folgte eine Gruppe des Schweizer Parlaments unter der Führung von Nationalratspräsidentin Irène Kälin der Einladung in die Ukraine und traf neben dem ukrainischen Parlamentspräsidenten auch den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski. Beide Themen wurden in der SRF-Community rege debattiert – insbesondere, wie diese Themen noch mit der bekannten schweizer Neutralität zu vereinbaren sind.

Das ist nicht neutral, sondern feige, opportunistisch und heuchlerisch.
Autor: Daniel Bleisch SRF-User

Eine Waffenlieferung in die Ukraine widerspricht sowohl der Gesetzgebung um den Kriegsmaterialexport als auch der Schweizer Neutralität. Diese Handhabung führt bei einigen Userinnen und Usern aus der SRF-Community für Kopfschütteln, so etwa bei User Daniel Bleisch: «Wir liefern Kriegsmaterial und Munition nach Saudi-Arabien, das an einem Wochenende 85 Menschen hinrichtet oder die Zivilbevölkerung in Jemen bombardiert. Aber Munition zur Verteidigung der Zivilbevölkerung in der Ukraine verweigern wir aus ‹Neutralitätsgründen›. Das ist nicht neutral, sondern feige, opportunistisch und heuchlerisch.»

Eine Gegenmeinung dazu vertritt beispielsweise User Benjamin Salzmann. Für ihn ist klar: «Alleine die Frage, ob man Waffen an Kriegsparteien liefern könnte, um Frieden zu schaffen, ist ein Widerspruch an sich.» Ähnlich sieht das auch User Reto Huber: «Es gibt für ein neutrales Land wie die Schweiz andere Mittel, die Ukraine zu unterstützen, als mit Kriegsmateriallieferungen die Konfliktspirale weiter anzuheizen.»

Anders sieht dies Userin Brigitte Sponchia: «Was die Ukraine jetzt braucht, sind Waffen und nochmals Waffen, militärische Strategien und Hilfe bei Evakuierungen. Wiederaufbau und finanzielle Hilfen sind Themen für später.» Was jedoch Userin Sponchia kritisiert, ist, dass die Parlamentsgruppe nach Kiew reiste. Die Reise sei zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig gewesen. Aber: «Wenn die Ukraine eingeladen hat, sollte man dem auch folgen.»

André Ruch beantwortet Fragen aus der Community

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SRF-Bundeshaus-Redakteur André Ruch beantwortet einige der wichtigsten Fragen der SRF-Community:

Müsste Kälin nicht auch Russland besuchen, um die Schweiz Neutralität zu wahren?

Eigentlich ja. Wahrscheinlich reist Bundespräsident Ignazio Cassis genau aus diesem Grund derzeit nicht nach Kiew. Irène Kälin allerdings ist nicht Regierungsvertreterin, sondern als Nationalratspräsidentin die höchste Volksvertreterin – sie darf eigene Standards anwenden. Sie argumentiert, dass Russland derzeit einseitiger Aggressor sei und sich deshalb für ein Gespräch auf Augenhöhe selber disqualifiziere. Sie findet, sie wolle mit dem Besuch Partei für das Völkerrecht ergreifen, wie dies der grössere Teil der Schweizer Bevölkerung auch tue.

Solidarisiert sich die Schweiz mit der Ukraine stärker als mit vergleichbaren Kriegen in der Vergangenheit?

Die Schweiz bezieht mit dem Ergreifen von Sanktionen gegen Russland viel deutlicher Partei als bei anderen kriegerischen Auseinandersetzungen. Ähnlich drastische Massnahmen hat der Bund in vielen anderen Kriegen unterlassen. Hier dürfte die geografische Nähe und die Einseitigkeit des Angriffs eine Rolle spielen.

Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg auf das Schweizer Waffenexportrecht?

Die Regeln für Schweizer Waffenexporte wurden vom Parlament gerade im letzten Herbst verschärft. Schweizer Waffen dürfen an keine kriegsführenden Länder ausgeführt und auch nicht von Drittstaaten an solche weitergegeben werden. Diese verschärften Regeln wendet das Staatssekretariat für Wirtschaft derzeit an – eine Aufweichung dieser Regeln wäre für die Regierung nur per Notrecht möglich. Der Ukraine-Krieg führt dazu, dass die Diskussion nun aber neu entfacht wird. Zwar fordern Politiker wie Mitte-Präsident Gerhard Pfister erleichterte Ausfuhrbestimmungen für angegriffene Staaten wie die Ukraine – solche Forderungen wären aber derzeit im Parlament nicht mehrheitsfähig. Allerdings sind auch SP und Grüne nun bereit, erneut über die Waffenexport-Regeln zu diskutieren. Sollte die Schweiz sich zum Beispiel einem Verteidigungsbündnis mit anderen Staaten anschliessen, wäre es für die Linke denkbar, dass dieses mit Schweizer Waffen versorgt würde.

Welche Versprechen hätte eine Nationalratspräsidentin überhaupt machen können? Wie weit gehen ihre Kompetenzen?

Grundsätzlich ist es am Bundesrat, die Aussenpolitik der Schweiz zu machen. Dinge wie Waffenlieferungen oder Hilfsprogramme müssten von der Regierung umgesetzt werden. Grundsätzlich kann die Nationalratspräsidentin das Schweizer Parlament (und somit auch das Schweizer Volk) im Ausland vertreten und Kontakte zu den Parlamenten anderer Länder pflegen. Da die Nationalratspräsidentin eine offizielle Einladung des ukrainischen Parlamentspräsidenten erhalten hat, ist sie dieser gemeinsam mit dem rumänischen und dem nordmazedonischen Parlamentspräsidenten gefolgt.

Linksgrünes Umdenken?

Waffenexporte der Schweiz waren aber bereits vor dem Ukraine-Krieg eine politische Kontroverse. Beispielsweise beschäftigte die « Korrektur-Initiative », welche strengere Regeln für Waffenexporte in Bürgerkriegsländer forderte, in den vergangenen Jahren das Bundesparlament: Die Umsetzung des indirekten Gegenvorschlags ist auf den 1. Mai 2022 datiert.

Wir brauchen unsere Exportgesetzgebung nicht zu revidieren.
Autor: Thomas Schneebeli SRF-User

Unter anderem deswegen findet beispielsweise User Thomas Leu, dass die Reise von Kälin und Co. dringend notwendig war: «Sie hat auch den Linken und Grünen die politischen Scheuklappen beseitigt, dass Kriege auch in Europa nicht unmöglich sind, und dass es notwendig ist, sich auf den Worst Case vorzubereiten, indem man seine Armee auf dem neuesten Stand hält und mit den Nachbarn militärische Kooperationen eingeht, um im Ernstfall nicht alleine dazustehen» – und tatsächlich zeigten sich SP und Grüne nach der Kiew-Reise offen für einen Diskurs rund um Waffenlieferungen aus der Schweiz .

Doch braucht es jetzt eine Änderung der Waffenexportpolitik der Schweiz? Nein, findet User Thomas Schneebeli: «Wir brauchen unsere Exportgesetzgebung nicht zu revidieren. Wir haben es für Afghanistan, Syrien, Irak, Jemen etc. auch nicht getan.»

Klar ist aber: Die Debatte zu einer möglichen Änderung wurde lanciert. Und die Rollenverteilung der Parteien könnte die eine oder andere Überraschung beinhalten.

SRF 4 News, 26.04.2022, 12:30 Uhr

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