Frustriert und misstrauisch gegenüber ihren Chefs und Chefinnen. So lässt sich die Stimmung im Nachrichtendienst des Bundes (NDB) offenbar beschreiben: Fast zwei Drittel der rund 450 Mitarbeitenden gaben letztes Jahr an, sie seien unzufrieden mit der Führung.
Das habe Folgen, sagt Prisca Fischer, Leiterin der unabhängigen Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten (AB-ND): «Ich habe den Eindruck, dass es sehr schwierig war für den NDB, an allen Fronten fit und unterwegs zu sein.»
Wenn der Personaldienst nicht fit für das Management ist, verunsichert das auch die Leute ein bisschen.
NDB-Direktor Christian Dussey liess den Dienst komplett umbauen: Aufgaben wurden neu verteilt, Teams umgestellt, alle Kaderleute mussten sich neu bewerben. Ausgerechnet der Personaldienst aber war unterdotiert und überfordert: «Wenn der Personaldienst nicht fit für das Management ist, verunsichert das auch die Leute ein bisschen», sagt Aufsichtschefin Fischer.
Das Risiko ist, dass die Mitarbeitenden nicht sicher sind, ob sie etwas machen dürfen, und es dann nicht machen, obwohl es vielleicht ok und nützlich wäre.
Zurzeit stocke der NDB die Ressourcen auf, es sehe jetzt nicht so schlecht aus, sagt Fischer. Doch viele Mitarbeitende hätten den Nachrichtendienst verlassen und intern seien die Risiken gewachsen: Weil frustrierte Mitarbeitende anfälliger für Geheimnisverrat und vor allem - weil sie abgelenkt sind von ihrer eigentlichen Aufgabe, die da lautet: Gefahren fürs Land erkennen.
«Das Risiko ist, dass die Mitarbeitenden nicht sicher sind, ob sie etwas machen dürfen, und es dann nicht machen, obwohl es vielleicht ok und nützlich wäre», umschreibt Fischer das Problem. So könne Mitarbeitenden zum Beispiel die Rückendeckung fehlen. Oder sie kämen bei ihrer Arbeit in eine Grauzone und wüssten nicht, wen sie fragen sollten und wer die Verantwortung trage.
Die Leute seien motiviert und versuchten, ihren Job gut zu machen, sagt Prisca Fischer. Doch es gebe Unklarheiten: Etwa, mit welchen Methoden der Nachrichtendienst welche frei zugänglichen Informationen durchforsten und auswerten dürfe – im Internet, auf Telegram, Instagram und so weiter. Hier brauche es Leitplanken.
Angriff auf Juden in Zürich – zu wenig aufmerksam?
Der Nachrichtendienst also als Baustelle – das provoziert die Frage, ob der NDB auch wegen des internen Umbaus den 15-Jährigen nicht auf dem Radar hatte, der Anfang März in Zürich einen orthodoxen Juden aus mutmasslich dschihadistischen Motiven schwer verletzte.
In einem Land ohne Massenüberwachung muss immer in Kauf genommen werden, dass ein einzelner Fall verpasst wird.
Aufsichtschefin Fischer stellt sich hier klar hinter den Nachrichtendienst: «In einem Land ohne Massenüberwachung muss immer in Kauf genommen werden, dass ein einzelner Fall verpasst wird. Ich würde nicht sagen, dass der Fall ohne die Transformation beim NDB aufgedeckt worden wäre.»
Der Nachrichtendienst selbst schreibt auf Anfrage, er habe mit der Überwachung von Internet-Inhalten in vielen Fällen Radikalisierungen frühzeitig erkannt: «Die gesetzlichen Vorgaben erlauben aber keine umfassende Überwachung des Internets. Die Abdeckung kann nie vollständig sein, und ein Risiko bleibt bestehen – speziell bei Einzeltätern.»
Direktor Dussey soll sich jetzt nicht mehr als Transformator sehen, sondern als Kapitän an Bord gehen.
Gefragt nach den Folgen der internen Unruhe für die Kernaufgaben beteuert der NDB, er sei trotz Personalabgängen und internem Umbau jederzeit in der Lage, seinen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen.
Seit Anfang März arbeitet der Nachrichtendienst mit neuen Strukturen und neu besetzten Kaderstellen. Prisca Fischer, die Leiterin der Aufsichtsbehörde AB-ND, erwartet von Direktor Christian Dussey, dass jetzt Ruhe einkehrt: «Er soll sich jetzt nicht mehr als Transformator sehen, sondern als Kapitän an Bord gehen.»