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Wie umgehen mit Rückkehrern? «IS-Kämpfer sind Produkte unserer Kultur»

Anhängern der Terrormiliz die Rückkehr zu verweigern, sei unwürdig und gefährlich, so Antiterrorexperte Richard Barrett.

Als Shamima Begum sich entschied, London zu verlassen und sich in Syrien der Terrormiliz IS anschloss, war sie 15. Jetzt möchte sie zurückkehren. Doch sie darf nicht. Die meisten Briten lehnen das heftig ab. Die Regierung verweigert ihr die Heimkehr.

Richard Barrett, Grossbritanniens früherer oberster Terrorbekämpfer, findet das falsch. Eine 15-Jährige könne gar nicht rational entscheiden, sich einer Terrororganisation anzuschliessen. Die heute 19-Jährige zog allerdings zusätzlich Hass auf sich, als sie in einem Interview erklärte, sie bereue nichts. Doch daran zweifelt Barrett.

Zur Person

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Richard Barrett war Direktor für Terrorbekämpfung beim britischen Geheimdienst MI6. Zwischen 2004 und 2013 war er massgeblich für die Antiterrorstrategie der UNO verantwortlich. Zurzeit ist er Direktor des Global Strategy Network .

Vielleicht habe sie in ihrem ersten Interview in einem nordostsyrischen Lager keine Reue gezeigt, weil sie Angst hatte, von den anderen Frauen im Lager misshandelt zu werden, hätte sie sich gegen den IS geäussert. Jedenfalls zeige sie in neueren Aussagen mehr Einsicht. Fragt sich, welcher Darstellung man glauben wolle, so der Antiterrorexperte.

Wachperson öffnet Gefängnistür
Legende: Die Kurden kontrollieren zurzeit noch die meisten Lager und Gefängnisse mit IS-Kämpfern. Wie lange sie das noch können, ist fraglich, so Barrett. Im Gefängnis in al-Hasaka (Bild), Nordostsyrien, sollen mehrere tausend mutmassliche IS-Kämpfer sitzen. Reuters

Shamima Begum ist für Barrett nur ein Beispiel, jedoch ein typisches dafür, wie schwer sich westliche Länder mit IS-Rückkehrern tun. Niemand habe eine überzeugende Antwort, aber es brauche eine. Aussitzen lasse sich das Problem nicht. Die Kurden, die zurzeit noch die meisten Lager mit IS-Kämpfern und Mitläuferinnen kontrollieren, seien vermutlich schon sehr bald nicht mehr dazu imstande.

Zu hoffen, die IS-Leute gingen irgendwo sonst hin, statt zurückzukehren, sei naiv und gefährlich. Denn was jetzt schon passiere, werde sich noch verstärken: nämlich dass sie weiterzögen und in Libyen, im Sahel, in Afghanistan oder in Südostasien zu Terrorbewegungen stiessen, beseelt vom Hass auf die westlich-liberale Welt. Sie blieben somit ein Risiko. Auch für die westliche Welt.

Kinder von IS-Kämpfern: Zurückholen und psychologisch betreuen

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Kind in den Armen seiner Mutter
Legende: Reuters

Die vielen Terroristenkinder, die meisten noch nicht einmal fünfjährig, könne man nicht einfach in Nordsyrien lassen, so Barrett. Sie würden sonst erst recht zu einer Gefahr für die Zukunft. Die meisten dieser traumatisierten Kinder bräuchten dringend psychologische Betreuung.

Von Sonderlösungen für Terroristen hält Barrett nichts: «Wir neigen dazu, weil wir uns in Sachen Terrorismus irrational verhalten, ihn in seiner Wirkung ständig überdramatisieren.» Sie sollen wie normale Gewaltkriminelle behandelt werden. «Ich unterschätze keineswegs die Schwierigkeiten, IS-Kämpfer bei uns hinter Gitter zu bringen. Schon hieb- und stichfeste Beweise zu finden, ist eine gewaltige Herausforderung.»

Aber wir dürften uns nicht von unseren Prinzipien verabschieden, bloss weil die Umstände es erschwerten, sie durchzusetzen. Gerade am Beispiel der IS-Rückkehrer zeige sich, ob wir es mit unseren demokratischen, rechtsstaatlichen Werten ernst meinten.

Die Herkunftsländer der IS-Terroristen kämen nicht darum herum, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Das hören die meisten Bürger und Politiker ungern. Die heftigen Proteste erntet Barrett aber, wenn er hinzufügt: «Diese IS-Terroristen sind Menschen. Sie sind Mitbürger. Viele sind hier aufgewachsen, unter uns. Auch sie sind Produkte unserer Kultur und unserer Gesellschaft, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht.»

Auch IS-Terroristen sind Produkte unserer Gesellschaft, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht.
Autor: Richard Barrett Früherer Direktor für Terrorbekämpfung beim britischen Geheimdienst

Es müsste uns ein grosses und dringendes Anliegen sein, herauszufinden, was da alles schiefgelaufen sei, und zwar hier bei uns, findet Barrett. Wir müssten Lehren daraus ziehen. Wir hätten eine moralische, eine politische und eine juristische Verantwortung, nicht länger die Augen zu verschliessen. Sonst werde das Problem immer noch schlimmer.

Nach wie vor befinden sich hunderte, möglicherweise gar mehr als tausend Europäer und Europäerinnen in Lagern in Nordsyrien. Darunter Shamima Begum. Ihre drei Kinder starben inzwischen dort.

Shamima Begum im Interview mit «The Times» (engl.), 14.2.2019

«Echo der Zeit», 12.2.2020, 18 Uhr

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