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Zertifikats-Nachteil unnötig? Genesene sind mindestens so lange geschützt wie Geimpfte

  • Lange hiess es: Geimpfte seien besser vor einer Covid-Erkrankung geschützt als diejenigen, die die Krankheit durchgemacht haben.
  • Für Genesene ist das Zertifikat deshalb weniger als ein halbes Jahr gültig, für Geimpfte ein ganzes Jahr.
  • Doch immer mehr Daten zeigen: Genesene sind mindestens so gut und so lange geschützt wie Geimpfte.

Mehr als 284'000 Zertifikate für genesene Personen wurden bis heute ausgestellt. Diese sind sechs Monate gültig, statt ein Jahr wie bei Geimpften. Doch die Genesenen seien gut geschützt, sagt Christian Münz, Professor für Immunologie an der Universität Zürich. «Neuere Studien zeigen, dass genesene Personen einen besseren Immunschutz haben als wir ursprünglich gedacht haben.»

Dass die Zertifikatsdauer für Genesene und Geimpfte unterschiedlich lang ist, ist deswegen nicht mehr unbedingt notwendig.
Autor: Christian Münz Professor für Immunologie an der Universität Zürich

Der Schutz für Genesene ist also mindestens so gut, wenn nicht sogar besser, als für geimpfte Personen. «Von daher hält der Immunschutz bei Genesenen sicher mindestens ein Jahr», sagt Münz. Das Zertifikat für Genesene könnte zumindest gemäss wissenschaftlichen Erkenntnissen länger gültig sein. «Dass die Zertifikatsdauer für Genesene und Geimpfte unterschiedlich lang ist, ist deswegen nicht mehr unbedingt notwendig.»

Natürlicher «Boost» durch Reinfektion

Es sei aber die Frage, was man mit dem Zertifikat erreichen möchte, gibt Münz zu bedenken. Geht es darum, sichere Veranstaltungen durchzuführen, wo die Genesenen und Geimpften unter sich genügend geschützt sind? Dann sei eine Verlängerung beziehungsweise die Angleichung auf ein Jahr sicherlich vertretbar.

BAG stellt Anpassung in Aussicht

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Die wissenschaftliche Evidenz ist das eine. Eine Rolle spielen dürfte bei einer allfälligen Verlängerung der Zertifikatsdauer für Genesene auch ein rechtlicher Aspekt, wie Patrick Mathys vom BAG an der heutigen Medienkonferenz in Bern ausführte. Das Ziel bleibt nämlich, dass das Schweizer Zertifikat im Ausland weiterhin anerkannt wird – insbesondere im europäischen Ausland. Ein Alleingang der Schweiz könnte diesbezüglich zu Problemen führen.

Doch der BAG-Vertreter liess durchblicken, dass die Zertifikatsdauer demnächst verlängert werden könnte – im Gleichschritt mit der EU. «Die Kollegen im europäischen Ausland verfügen über dieselben Daten wie wir. Es deutet einiges darauf hin, dass der Gültigkeitszeitraum des Zertifikats verlängert werden kann. Wir werden uns dann entsprechend anpassen.» Man stehe in engem Austausch mit den zuständigen europäischen Behörden, so Mathys weiter. Auf einen konkreten Zeitraum für eine allfällige Anpassung wollte er sich aber nicht festlegen.

«Wenn man aber verhindern möchte, dass das Virus an solchen Veranstaltungen generell weitergegeben wird, müsste man wohl beide Zertifikatsdauern auf sechs Monate kürzen, wie es bisher für die Genesenen vorgesehen war», sagt der Immunologe.

Doch besonders mit der Delta-Variante ist die Chance auf Eindämmung klein geworden, sie ist deutlich ansteckender als die vorherigen Varianten. Konkret heisst das: Schliesst man die Gesellschaft nicht komplett ein, werden die Reinfektionen weiter zunehmen, bei Geimpften und auch bei Genesenen.

Die breite Bevölkerung sei mit einer Grundimmunität, also einer Impfung oder einer Genesung, etwa ein Jahr gut vor schweren Krankheitsverläufen geschützt. Eine Reinfektion in diesem Zeitraum sei dann nicht nur schlecht, sagt Münz. «Wenn Geimpfte oder Genesene innerhalb dieses Jahres milde vom Virus reinfiziert werden, stärkt dies das Immunsystem wieder.» Ein natürlicher Boost fürs Immunsystem also.

Long Covid und Reinfektionen

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Eine wichtige Frage bleibt allerdings noch offen: Wie sieht es aus mit Long Covid bei Reinfektionen? «Milde» Reinfektionen sind ja nicht nur angenehm, es heisst einfach, dass man dabei nicht schwer erkrankt und zum Beispiel ins Spital muss. «Mild» kann bedeuten, 7-10 Tage krank zu Hause zu sein, wenn man Pech hat. Es kann aber auch kaum oder sogar überhaupt nicht spürbar sein. Die Bandbreite ist gross.

Zu Long Covid bei Reinfektionen gebe es erst sehr wenig Daten, sagt Münz. Er gehe aber davon aus, dass eine Grundimmunität, die uns vor einer schwerer Erkrankung schützt, ebenso die möglichen Auslöser und Effekte von Long Covid abschwäche.

«Wenn das Virus einmal frei zirkuliert, brauchen wir keine weiteren Booster, weil das Virus das quasi selber erledigt», erklärt Münz. Diese milde Reinfektion müsse aber erfolgen, bevor das Immunsystem so weit abgefallen sei, dass es wieder zu schweren Symptomen kommen könne.

Das betrifft in besonderem Mass ältere Personen. Für sie ist ein Booster mit einer Impfung vermutlich die schonendste Variante, so wie dies auch in der Schweiz immer mehr Fachpersonen fordern. Aktuell ist der Zulassungsentscheid noch bei Swissmedic hängig. Genesen oder geimpft und dann immer wieder mal infiziert oder nachgeimpft: das ist wohl die Zukunft, die uns mit dem Coronavirus erwartet.

Rendez-vous, 12.10.2021, 12:30 Uhr

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