«Ein historisches First», nennt Politologe Michael Hermann den SVP-Höhenflug, den die Befragung zu den Wahlabsichten andeutet. Zum ersten Mal seit der Einführung der Proporzwahlen 1919 hat eine Partei in der Schweiz national mehr als 30 Prozent Wähleranteil.
Das ist viel für die Schweiz.
Auch wenn die Partei im internationalen Vergleich damit keine Rekorde bricht: «Das ist viel für die Schweiz», so Hermann. Und damit zeigt sich auch in der Schweiz ein Trend, der in ganz Westeuropa zu beobachten ist: Polparteien sind auf dem Vormarsch – insbesondere im rechten Spektrum.
Liberale Kräfte verlieren an Boden
Während die grösste Partei der Schweiz ihren Vorsprung ausbaut, geraten liberale Kräfte ins Straucheln. Die FDP verliert einen Prozentpunkt, fällt auf 13.3 Prozent und würde damit ihr bislang schlechtestes Ergebnis erzielen. Sotomo ortet hier auch eine Zerrissenheit innerhalb der Partei, was die Themen EU und Zuwanderung betrifft.
Die Grünliberalen (GLP) büssen 1.5 Prozentpunkte ein und kommen noch auf 6.1 Prozent. «Es ist eine Entwicklung in Richtung einer konservativen Haltung», schliesst Hermann.
Um den dritten Platz könnte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben.
Trotz anhaltender Erosion bei der FDP bleibt das Rennen um den dritten Platz – das speziell für die Diskussion über die Verteilung der Bundesratssitze relevant ist – eine sehr enge Angelegenheit.
Die Mitte kann aktuell nicht direkt von der Rücklage der FDP profitieren und zeigt ebenfalls eine leicht negative Tendenz. Im aktuellen Wahlbarometer liegt sie zwar um Haaresbreite vorn, das Ergebnis bewegt sich jedoch im Fehlerbereich. Laut Hermann «könnte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben».
Stabilisierung im linken Lager
Nach ihrem historischen Höhenflug bei den Wahlen 2019 im Zuge der «grünen Welle» waren die Grünen bei den Wahlen 2023 die grossen Verlierer. Seither habe sich die Partei in der Wählergunst «ein wenig gefangen», sagt Hermann.
Leicht verbessern kann sich auch die SP. Sie erreicht 18.8 Prozent und ist damit erneut die zweitstärkste Partei, rund fünf Prozentpunkte vor der Mitte und der FDP.
Einschätzung des Politologen Michael Hermann
Aktuell sind die meisten Wählerinnen und Wähler zufrieden mit der politischen Ausrichtung der Partei ihrer Wahl. Tendenziell schätzt ein Teil der Wählerschaft von SP und Grünen die Ausrichtung der jeweiligen Parteien als eher zu links und bei SVP und FDP als zu rechts ein.
Wohnungsthematik neu oben im Sorgenhaus
Besonders relevant für den politischen Erfolg sind Veränderungen in der Einschätzung der wichtigsten Herausforderungen. Die Themenkonjunktur ist ein Taktgeber für die Formkurve der Parteien.
Krankenkassenprämien und Zuwanderung bleiben für die Wählenden die wichtigsten Herausforderungen, haben aber an Dringlichkeit eingebüsst. «Zwar reden viele von der Zuwanderung», meint Hermann, «aber das Thema hat möglicherweise schon ‹gepeaked›.»
An Wichtigkeit gewonnen haben die Beziehungen zur EU sowie die Wirtschaft. Zudem erscheint zum ersten Mal überhaupt die Thematik der Wohnungsknappheit und -preise auf den vorderen Plätzen des Rankings.
Bei keinem Thema unterscheidet sich dabei die Einschätzung derart stark zwischen links und rechts wie beim Klima. Schliesslich zeigt ein weiteres Thema sehr ausgeprägt die vorherrschende Polarisierung entlang des politischen Spektrums: die Zuwanderung.