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Zweite Gewaltnacht Krawalle in Lausanne: Woher kommt die Wut der Jugendlichen?

Hunderte von Jugendlichen randalieren in Lausanne. Auslöser war eine tödliche Verfolgungsjagd durch die Polizei.

Die Ausschreitungen: Brennende Müllcontainer, Molotowcocktails und Pflastersteine, die in Richtung von Polizisten in Vollmontur fliegen. Diese setzen Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer gegen die Randalierer ein. In den letzten beiden Nächten kam es im Lausanner Stadtteil Prélaz zu wüsten Ausschreitungen.

«Ein Bekannter von mir war vor Ort und berichtete von kriegsähnlichen Szenen», sagt Roman Fillinger, Westschweiz-Korrespondent von SRF. «Wichtig ist aber auch zu sagen, dass bislang niemand verletzt wurde.» An den Protesten beteiligten sich Hunderte von Jugendlichen. Sieben Menschen wurden laut den Behörden festgenommen.

Die Verfolgungsjagd: Ausgelöst wurden die Krawalle durch den Tod eines 17-Jährigen. Er war am Sonntag auf einem gestohlenen Roller vor der Polizei geflüchtet und bei der Verfolgungsjagd tödlich verunglückt. Bereits im Juni kam es in Lausanne zu einem ähnlichen Fall. Damals war eine 14-Jährige auf der Flucht vor der Polizei mit einem Motorrad gestürzt und später an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben.

Randale in Lausanne
Legende: Der tödlich verunfallte 17-Jährige war im Quartier sehr beliebt und stark verwurzelt. Viele Jugendliche drückten am Sonntag ihre Trauer aus – zunächst noch friedlich. Die Randalenakte begannen aber mit Einbruch der Dunkelheit. Keystone/Cyril Zingaro

Die Vorwürfe gegen die Polizei: Am Montagvormittag wurden die Proteste von Enthüllungen über die Lausanner Polizei befeuert. So stellt ein neuer Bericht infrage, ob ein Zürcher 2021 am Bahnhof Morges VD von der Polizei aus Notwehr erschossen wurde.

Der Fall Nzoy – was geschah wirklich?

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Mann liegt auf Perron in Lausanne
Legende: SRF

Der Vorfall hatte sich am 30. August 2021 am Bahnhof von Morges VD ereignet. Der 37-jährige Zürcher südafrikanischer Herkunft war auf einem der Perrons von den Kugeln eines Polizeibeamten getroffen worden. Er starb noch am Tatort. Laut den Ermittlungen hatte das Opfer unter psychischen Problemen gelitten, und es soll die Polizisten mit einem Messer bedroht haben.

Die These der legitimen Selbstverteidigung durch den Beamten wird allerdings vom neuen Bericht infrage gestellt. Eine Rekonstruktion der damaligen Ereignisse soll nun ergeben haben, dass der Mann versuchte, vor der Polizei zu flüchten und sie nicht etwa angriff.

Am Montagnachmittag enthüllte die Lausanner Staatsanwaltschaft zudem Whatsapp-Chats, in denen Polizisten antisemitische, sexistische und weitere diskriminierende Nachrichten austauschten. Stadtpräsident Grégoire Junod (SP) sprach von «einem Problem des systemischen Rassismus».

Nigerianer stirbt bei Festnahme in Lausanne

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Polizist mit Daumen nach oben
Legende: RTS

Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch einen RTS-Bericht von 2023. Dieser drehte sich um einen Polizisten, der mit einem Daumen nach oben vor dem Gedenk-Graffiti für einen Nigerianer posierte, der 2018 bei einem Polizeieinsatz in Lausanne ums Leben kam. Das Opfer war von der Polizei am Boden festgehalten worden und in dieser Position verstorben. Die sechs involvierten Beamten wurden freigesprochen. Ganz abgeschlossen ist der Fall aber noch nicht.

Die Stimmungslage in Lausanne: SRF-Korrespondent Fillinger war heute in Lausanne unterwegs und hat mit den Menschen über die Ausschreitungen gesprochen. «Dabei traf ich auf eine Mischung aus Verständnis für die Trauer der Jugendlichen und Wut über die Zerstörungen.»

Wir wollen die Wahrheit wissen, wir fordern Gerechtigkeit.
Autor: Teilnehmer der Proteste in Lausanne

Gegenüber SRF erklärt ein Jugendlicher, der sich an den Protesten beteiligt hat: «Es ist zu einfach, immer von tödlichen Unfällen zu sprechen. Wir wollen die Wahrheit wissen, wir fordern Gerechtigkeit.» Lausannes Stadtpräsident Junod hatte die Jugendlichen am Montag zum Dialog aufgerufen und gefordert, die Strassenkämpfe einzustellen. Sein Aufruf blieb ungehört.

Die Einordnung: Fillinger warnt davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. «Bei den beiden Verfolgungsjagden haben die Jugendlichen trotz allem Selbstunfälle gebaut. Das andere sind Fälle, in denen Männer in Polizeigewahrsam gestorben sind», so der Korrespondent. Und: Sollte sich bewahrheiten, dass der am Wochenende verstorbene Jugendliche einen Helm getragen habe, sei es fragwürdig, den Polizeieinsatz mit systemischem Rassismus zu erklären. Dass es diesen im Lausanner Polizeikorps gebe, sei angesichts der Whatsapps-Chats aber offenkundig.

In Medienberichten werden die Krawallnächte bereits mit Zuständen in französischen Banlieues verglichen. Solche Parallelen hält Fillinger für überzogen. «Prélaz ist sicher kein einfaches Quartier. Es gibt grosse soziale Gegensätze, gewisse Spannungen und der Migrationsanteil ist hoch.» Mit Vororten wie in Paris oder Marseille, wo der Rechtsstaat erodiert sei und Bandengewalt grassiere, sei Prélaz aber nicht zu vergleichen. Dass Banlieue-Krawalle und fragwürdige Influencer aus der Szene auf Jugendliche in der Romandie Einfluss hätten, sei aber durchaus vorstellbar.

SRF 4 News, 26.5.2025, 6 Uhr ; 

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