Wenn Raphael Mayoraz über seine Arbeit spricht, fällt unweigerlich ein Name: Blatten. Der gewaltige Bergsturz, der das Lötschental und die ganze Schweiz erschütterte, hat auch ihn geprägt. Wochenlang hatten sich die Risse am Kleinen Nesthorn angekündigt, erst wurden einzelne Häuser evakuiert, dann musste das ganze Dorf Hals über Kopf geräumt werden.
Für Mayoraz waren es Stunden der höchsten Anspannung – Entscheidungen, die über Sicherheit und Heimat der Menschen bestimmten. «Wir haben vieles richtig gemacht», sagt er rückblickend, «doch die Frage bleibt: Hätte man noch mehr tun können?»
Solche Zweifel gehören zu seinem Beruf. Als Leiter der Walliser Dienststelle für Naturgefahren stand Mayoraz stets im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik. Nach dem Bergsturz kam Kritik auf, weil frühere Gefahrenstudien nicht veröffentlicht worden waren. Doch für ihn war klar: Die Analysen waren zu grob, stützten sich hauptsächlich auf Satellitenbilder statt auf Feldmessungen. Deshalb habe er entschieden, mit den Studien nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. «Die Simulationen für Blatten zum Beispiel waren schlicht falsch», sagt er nüchtern. Erst heute gebe es präzisere Modelle und Daten, die ein verlässliches Bild zeichnen.
Wir haben vieles richtig gemacht. Aber Fragen bleiben immer.
Kontroversen begleiteten ihn auch bei der Rhonekorrektion – jenem gigantischen Jahrhundertprojekt, das nach zwei Jahrzehnten Planung plötzlich infrage gestellt wurde. Eine Studie, welche die Walliser Regierung in Auftrag gegeben hatte, kam zum Schluss, dass das Projekt überdimensioniert sei. Deshalb kündigte der Kanton im Frühling 2024 an, das Projekt zu überdenken.
Kaum war eine Redimensionierung angekündigt, trat am 29. Juni 2024 die Rhone bei Siders über die Ufer und richtete Millionenschäden an. «Ein unglücklicher Zeitpunkt», gesteht Mayoraz. Und doch ist er überzeugt: Mit einem besseren Wassermanagement, das auch Stauseen und Kraftwerke einbezieht, lasse sich Sicherheit genauso erreichen.
Nun, kurz vor der Pensionierung, wirkt Mayoraz gelöster. Sein Kalender enthält nicht mehr Krisensitzungen, sondern Einladungen – etwa zu einem Glaziologenkongress im fernen Bhutan. Der passionierte Bergführer will wieder mehr Zeit in den Bergen verbringen, auf anspruchsvollen Touren, weit weg vom Druck der Amtsstuben. «Vielleicht», sagt er, «muss ich lernen, den Kopf dabei etwas besser abzustellen, damit ich nicht überall Gefahren sehe in den Bergen.»