Zum Inhalt springen

Credit Suisse und die Saudis «Auf moralische Themen sind Unternehmen oft schlecht vorbereitet»

Mit dem autokratisch geführten Wüstenstaat Saudi-Arabien holt sich die Credit Suisse eine neue Grossaktionärin an Bord. Das sei auch mit Risiken verbunden, warnt der Lausanner Wirtschaftsethiker Guido Palazzo. Denn die moralische Beurteilung solcher Entscheidungen in der Öffentlichkeit könne ganz schnell kippen.

Guido Palazzo

Professor für Wirtschaftsethik an der Universität Lausanne

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Guido Palazzo ist Professor für Wirtschaftsethik an der Universität Lausanne. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die organisierte Kriminalität (Mafia). Daneben befasst er sich mit der Globalisierung, globalen Lieferketten und der sozialen Verantwortung von Unternehmen. Er hat in Deutschland Betriebswirtschaft und Philosophie studiert.

SRF: Wie problematisch ist es, dass sich die Credit Suisse frisches Kapital in Milliardenhöhe bei den Saudis holt?

Guido Palazzo: Wir haben derzeit ganz viele moralische Themen, die in die Unternehmen hineindrängen. Was die Debatte intensiviert, ist der Ukraine-Krieg. Sogar liberale, wirtschaftlich orientierte Medien wie das «Wall Street Journal» sagen nun, man müsse Unternehmen dazu bringen, Russland zu verlassen.

Aber wenn ein saudischer Investor bei der CS einsteigt, hat das doch nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun?

Der Zusammenhang ist folgender: Wenn wir dreissig Jahre an den Fall der Berliner Mauer und den Beginn der Globalisierung zurückdenken: Damals gingen Unternehmen in alle Welt, machten überall Geschäfte, die Wertschöpfungsketten wurden global. Damals dominierte die Idee: Wenn wir den Handel globalisieren, dann globalisieren wir auch die Demokratie.

Man dachte, freie Märkte würden zu freien Bürgerinnen und Bürgern führen. Darum war man relativ entspannt und tolerant, was die Anwesenheit von unseren Unternehmen in repressiven Regimen angeht. Die Annahme war, das werde dort früher oder später einen positiven Einfluss haben.

Das Schlagwort dazu: Wandel durch Handel …

Ganz genau. Aber jetzt wird klar: Das hat nicht funktioniert. Wir haben heute mehr repressive Regimes als noch vor zehn Jahren. Diese Ernüchterung führt dazu, dass wir sehr viel kritischer auf Unternehmen schauen, die in solchen repressiven Regimes aktiv sind oder die mit solchen repressiven Regimes verbunden sind.

Was sollte die CS nun tun?

Ich denke, man muss das Risiko ganz genau analysieren, dem man sich aussetzt. Das Risiko besteht darin, dass die moralische Beurteilung von solchen Entscheidungen ganz schnell kippen kann. Schauen wir uns noch mal den Ukraine-Krieg an. Es war vorher auch schon ein Problem, in Russland zu investieren. Vorher waren die Strukturen dort auch schon repressiv. Kritiker und Dissidenten wurden erschossen, gefoltert und mundtot gemacht.

Moralische Themen sind oft Themen, auf die sich Unternehmen nicht vorbereiten. Wenn sie akut werden, tun Unternehmen das Falsche, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen.

Aber durch den Krieg ist das, was vorher schon schwierig war, plötzlich inakzeptabel geworden. In China wäre etwas Vergleichbares der Angriff auf Taiwan. Sobald der erfolgt, ist jedes Investment in China kollabiert, dann ist alles verloren.

Die Frage ist: Was wäre ein ähnlicher Kipppunkt der Moral bei Saudi-Arabien? Das muss sich die CS genau anschauen, um vorbereitet zu sein. Moralische Themen sind oft erstaunlicherweise Themen, auf die sich Unternehmen nicht vorbereiten. Wenn sie dann akut werden, tun die Unternehmen das Falsche, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen.

Das Gespräch führte Jan Baumann. Das vollständige Interview gibt es im SRF-Podcast «Trend» .

Saudi National Bank wird CS-Grossaktionärin

Box aufklappen Box zuklappen

Die Saudi National Bank (SNB) kauft bis zu knapp zehn Prozent der Aktien von Credit Suisse. Damit wird sie zur grössten Aktionärin der CS. Die SNB gehört zu 37 Prozent dem saudi-arabischen Staatsfonds «Public Investment Fund».

Das heisst: Die Bank steht dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman nahe. Dieser wird vom amerikanischen Geheimdienst für die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 verantwortlich gemacht.

Die SNB sagt von sich selber, sie wolle mithelfen, die sogenannte «Vision 2030» von Saudi-Arabien voranzutreiben. Das ist ein Programm, mit dem der Kronprinz die Abhängigkeit Saudi-Arabiens vom Ölgeschäft reduzieren und die Wirtschaft breiter aufstellen will.

Die SNB ist schwergewichtig in Saudi-Arabien tätig. Sie hat aber auch Geschäfte im übrigen Nahen Osten, in der Türkei und in Europa. Sie beschäftigt knapp 16'000 Angestellte.

Trend, 05.11.2022, 8:00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel