Der aktuelle Anlass: Stephen Miran soll einer der sieben Notenbank-Gouverneure der Federal Reserve (Fed) werden. Am 4. September tritt er für eine Anhörung vor den Bankenausschuss des US-Senats. Miran gilt als Schlüsselfigur der protektionistischen Wirtschaftspolitik der USA. Die weltweiten Zölle hatte er in einem Strategiepapier bereits im November 2024 empfohlen. Nach Christopher Waller ist Miran die zweite Person auf Linie Donald Trumps, die der US-Präsident in das Entscheidungsgremium der Notenbank schleusen will. Gleichzeitig hat er Fed-Gouverneurin Lisa Cook entlassen (die gerichtlich dagegen vorgeht und vorerst im Amt bleibt), und er poltert regelmässig gegen Notenbank-Präsident Jerome Powell.
Das ökonomische Problem: Fachleute sind sich einig: Mischt sich die Politik zu sehr in die Notenbank ein, schadet das der Wirtschaft. Deren Ziele unterscheiden sich grundlegend. Eine Notenbank soll Preisstabilität gewährleisten und nimmt eine langfristige Sichtweise ein. Anders die Politik. «Man hat gesehen, dass Regierungen oft sehr kurzfristig denken, typischerweise bis zur nächsten Wiederwahl, und dadurch geneigt sind, Geldpolitik zu machen, die zu locker ist», sagt Sarah Lein, Wirtschaftsprofessorin an der Universität Basel. Sie würden so die Konjunktur stimulieren wollen, um ihre Wiederwahl zu sichern. Das könne zu mehr Inflation führen.
Das institutionelle Problem: Hinzu kommt: Wenn sich Regierungs- und Notenbankpolitik vermischen, kann die Notenbank ihr wichtigstes Gut verspielen – das Vertrauen. Sarah Lein sagt: «In unserem heutigen Geldsystem ist das absolut zentral. Wir haben beispielsweise keine Bindung mehr an Gold. Dadurch ist es sehr wichtig, dass die Bevölkerung der Zentralbank vertraut, dass die Geldscheine, die sie mit sich herumtragen, im nächsten Jahr noch genauso viel wert sind, wie sie heute wert sind.»
Beispiel Great Depression: Macht eine Notenbank Fehler, kann die Wirtschaft schnell in eine Abwärtsspirale geraten. Ein krasses Beispiel ist die grosse Depression, die Ende der 1920er-Jahre von den USA ausging. Banken gingen pleite, die industrielle Produktion brach ein. In Fachkreisen ist man überzeugt, dass die Fed damals falsch gehandelt hatte. Sie hätte die Geldmenge erhöhen müssen. Stattdessen zog sie Liquidität ab und erhöhte zeitweise die Zinsen. Auch Lateinamerika und Europa trugen damals unter anderem die Konsequenzen. Der Aufstieg radikaler Kräfte bis zum deutschen Nationalsozialismus wird unter anderem in dieser Entwicklung begründet.
Beispiel Türkei: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan drängte die Notenbank mehrfach zu Zinssenkungen, auch bei bereits hoher Inflation. Um seine Ziele zu erreichen, tauschte er mehrfach das Personal aus. Das Ergebnis: Die Inflation stieg bis auf rund 85 Prozent, und die türkische Lira verlor stark an Wert. Für die Bevölkerung wurde das Leben sehr viel teurer. Inzwischen konnte ein neuer Finanzminister für einen Richtungswechsel sorgen. Die Zinsen wurden angehoben und liegen zurzeit bei 43 Prozent. Die Inflation beträgt noch mehr als 30 Prozent.