Sparen, sparen, sparen – oder gar den Laden dicht machen. Das ist in der Schweizer Zeitungslandschaft seit Jahren der Trend. Grund sind die Werbeeinnahmen, die immer mehr ins Internet abfliessen, und die veränderten Lesegewohnheiten. Das gilt auch für die Romandie. Hier hat die Zeitungsvielfalt in den letzten Jahren stark abgenommen. 2017 wurde das Wochenmagazin «L'Hebdo» eingestellt, ein Jahr später die Printausgabe von «Le Matin». Erhalten blieb mit lematin.ch die Onlineplattform.
Unerwarteter Gegentrend
Doch nun stockt lematin.ch zusammen mit 20Minutes (beide TX-Group) ihre Redaktionen gemeinsam um 20 Stellen auf. Das dürfte kein Zufall sein: die beiden Gratis-Medienportale werden herausgefordert. Mit Watson und Blick.ch wagen 2021 gleich zwei Medienhäuser aus der Deutschschweiz die Expansion in die Romandie – mit ihren werbefinanzierten Onlineplattformen. Beide planen, in Lausanne eine je rund 20-köpfige Redaktion aufzubauen.
Werbeanzeigen für die ganze Schweiz
Doch woher die plötzliche Investitions-Freude? Auch wenn journalistische Argumente in den Vordergrund gerückt werden, geht es vor allem auch um neue Möglichkeiten auf dem Anzeigenmarkt. Sandra Jean ist Chefredaktorin von Watson Romandie. Zum Start im März wurden 5 Millionen Franken investiert. Jean erklärt: «Mit der Expansion werden wir ein nationaler Akteur im Werbemarkt. Für die Werbekunden können wir damit eine attraktive Alternative sein zu den bestehenden Anbietern.»
Vier Gratis-Online-Zeitungen für einen Markt von zwei Millionen Leserinnen und Lesern? Da habe ich grosse Zweifel, dass das aufgeht.
Medienkenner Pierre Rüetschi ist nicht überrascht: «Ein nationaler Markt für Anzeigen kann bisher einzig TA-Media mit 20Minuten und den verschiedenen Regionalzeitungen anbieten». Für die Vermarktung von Anzeigen auf Watson.ch und Blick.ch habe der Westschweizer Teil des Markts bisher gefehlt. Doch die Medienportale müssen nicht nur Anzeigekunden, sondern auch neue Lesende gewinnen. Da ist Rüetschi skeptisch: «Vier Gratis-Online-Zeitungen für einen Markt von 2 Millionen Leserinnen und Lesern? Da habe ich grosse Zweifel, dass das aufgeht.»
«Konkurrenz belebt das Geschäft»
Für Laurent Siebenmann, Chefredaktor von Lematin.ch, ist die neue Konkurrenz zuerst einmal eine gute Nachricht. «Für uns heisst das, dass die Romandie ein interessanter Markt ist – offenbar sieht man hier Potenzial.» Zudem gebe es online mehr Platz für verschiedene Medien, sei es mit neuen Formaten auf der Webseite oder auf den sozialen Medien.
Vor allem aber freue er sich darauf, dass die Konkurrenz auch journalistisch das Geschäft beleben werde. Nun wolle man auf den vorhandenen Stärken aufbauen. «Lematin.ch ist eine starke Marke, vor allem im Sport und da, wo es um Persönlichkeiten der Romandie geht.» Die neu geschaffenen Stellen finden sich denn auch in diesen Bereichen.
Keine Angst vor den Deutschschweizern
«Das Risiko besteht natürlich, dass sich unsere Leser für die Neuen interessieren könnten», sagt Laurent Siebenmann. Aber die Ausgangslage sei gut. «Covid hat die Lesegewohnheiten verändert, wir hatten dieses Jahr historische Rekorde bei den Zugriffszahlen», freut er sich.
Es ist klar: Wir haben vor, das Rennen zu gewinnen.
Zudem sei Lematin.ch in der Region stark verankert. «Wir haben unseren eigenen Stil, unseren Humor, unser Blick auf die Dinge – das werden wir erhalten.» Für Deutschschweizer Medien werde es darum nicht unbedingt einfach, das Terrain zu erobern. Siebenmann gibt sich kämpferisch: «Es ist klar: Wir haben vor, das Rennen zu gewinnen.»