Als der deutsche Kanzler Friedrich Merz am Donnerstag in Brüssel vor die Medien trat, klang alles noch so einfach: «Wir stehen im Grunde vor der Wahl: europäische Schulden oder russisches Vermögen.» Für Merz war klar: Die Ukraine bräuchte für den Kampf gegen den russischen Aggressor dringend die finanzielle Unterstützung der EU. Und die EU sollte sich dafür bei Geldern der russischen Zentralbank bedienen – bei jenen Milliarden, die sie bereits kurz nach Kriegsbeginn eingefroren hat.
Es kam anders. In der folgenden Nacht haben die Staatsspitzen entschieden, dass die EU für die Ukraine neue Schulden aufnimmt; die russischen Staatsgelder bleiben eingefroren, aber vorerst unangetastet. Das hat auch mit dem Unternehmen zu tun, bei dem das Vermögen liegt: Euroclear.
Was ist Euroclear?
Euroclear ist ein Finanzkonzern mit Sitz in Brüssel. Das Unternehmen kümmert sich darum, dass Transaktionen korrekt abgewickelt werden. Wenn etwa eine Bank an eine andere Bank eine grosse Überweisung tätigt, kontrolliert Euroclear, dass alles korrekt verbucht wird.
Man kann das mit der Funktion eines Grundbuchs vergleichen: Euroclear dokumentiert, wenn Vermögenswerte wie Aktien die Besitzer wechseln. Dafür hortet Euroclear keine Geldscheine. Alles läuft elektronisch auf Hochsicherheitsservern, auf denen Euroclear auch Wertpapiere verwahrt. Insgesamt verwaltet Euroclear Vermögenswerte von mehr als 40 Billionen Euro.
Was auf dem Spiel steht
Die EU hat sich nun dagegen entschieden, Kredite an die Ukraine mit russischen Staatsgeldern abzusichern. Das liegt wesentlich am Widerstand aus Belgien. Der belgische Staat hält rund 13 Prozent an Euroclear – und befürchtete, langfristig für einen Rechtsbruch haften zu müssen. Der Zugriff auf russische Gelder – auch wenn er als Reparationszahlung an die Ukraine gerechtfertigt wird – gilt als juristisch heikel.
Die juristischen Risiken sind aber nicht alles. Hinzu kommt: Das Geschäftsmodell von Euroclear – und damit auch die Abläufe in der Finanzwelt – basieren auf Vertrauen. Dafür braucht es eine zuverlässige Infrastruktur.
Deshalb gilt diese Finanzmarkt-Infrastruktur als systemrelevant, ähnlich wie zum Beispiel die Grossbanken hier in der Schweiz.
«Die Leute in der Finanzwelt wollen sich sozusagen darauf verlassen, dass die Rohre dicht sind, durch die die Finanzströme fliessen.» So beschreibt es SRF-Wirtschaftsredaktor Jan Baumann. «Deshalb gilt diese Finanzmarkt-Infrastruktur als systemrelevant, ähnlich wie zum Beispiel Grossbanken hier in der Schweiz.» Die müsse immer funktionieren, sonst gebe es starke Bewegungen bis hin zu Panikreaktionen.
Problem gelöst? Wohl eher: Entscheidung vertagt
Die EU tastet die russischen Zentralbank-Milliarden vorerst nicht an. Diese Entscheidung sei mit «geringeren rechtlichen Risiken und politischen Kosten verbunden», sagt Seraina Grünewald, Professorin für internationales Wirtschaftsrecht und Finanzrecht an der Hochschule St. Gallen. Es sei deshalb «eine schnelle und pragmatische Lösung».
Doch was passiert nun mit dem eingefrorenen Vermögen? Die Entscheidung ist wohl eher vertagt. Der belgische Premier Bart De Wever – einer der entscheidenden Kritiker am ursprünglichen Vorschlag – bekräftigte am Freitagmorgen: Die russischen Milliarden blieben eingefroren – und würden am Ende für den Wiederaufbau der Ukraine eingesetzt.