Zum Inhalt springen

Folgen der 737-Abstürze «Bei Software und Sensoren ist etwas schief gelaufen»

Nach dem Absturz zweier 737 Max 8 hat Boeing-CEO Dennis Muilenburg erstmals explizit Probleme mit der Software MCAS eingeräumt. Der vorläufige Ermittlungsbericht aus Äthiopien lege nahe, dass das Programm wegen falscher Sensordaten unnötigerweise eingeschaltet worden sei.

Aviatik-Experte Andreas Wittmer warnt im Interview davor, die Ursache allein bei der Software zu suchen. Und er stellt die Automatisierung moderner Flugzeuge zur Debatte.

Andreas Wittmer

Aviatikexperte

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Andreas Wittmer lehrt am Institut für Systemisches Management und Public Governance der Universität St. Gallen. Er beschäftigt sich unter anderem mit dem Flugwesen.

SRF News: Hat sich der Vorwurf, Boeing habe gepfuscht, mit Muilenburgs Entschuldigung bestätigt?

Andreas Wittmer: Muilenbu hat bestätigt, dass es Probleme gibt. Ob Boeing in der Arbeit gepfuscht hat, ist eine andere Frage. Aber offensichtlich ist bei der Produktion der Software und insbesondere der Sensoren etwas schief gelaufen. Es wundert mich, dass man jetzt fast nur über die Software redet. Mich würde zum Beispiel sehr interessieren, ob genügend Sensoren das System gespeist haben. Da sind schon noch Fragen offen.

Was wären die Folgen, wenn sich bestätigen sollte, dass die Verantwortung für die Fehlfunktionen tatsächlich bei Boeing liegt?

Finanziell wird Boeing oder allenfalls die Versicherung des Konzerns geradestehen müssen. Es gibt Ansprüche der Opferangehörigen, der Airlines, die ein Flugzeug verloren haben sowie all jener Fluggesellschaften, deren 737-Flotten nun gegroundet sind. Ich glaube aber nicht, dass das Boeing aus dem Markt bringen könnte.

Hat Boeing denn aus Ihrer Sicht tatsächlich gepfuscht?

Auf der einen Seite stand das Unternehmen unter starkem Druck, die 737 Max 8 auf den Markt zu bringen, andererseits sind die dafür produzierten Systeme sehr komplex. Sie zu verstehen ist nicht ganz einfach, deshalb arbeiten Boeing und die US-Luftfahrtbehörde FAA sehr eng zusammen. Diese muss die Systeme kontrollieren und freigeben. Und offensichtlich wurde da etwas übersehen.

Wie ist das möglich?

Solche Systeme sind heute derart komplex, dass Entwickler und Prüfer zusammenarbeiten müssen. So war es ja auch in diesem Fall in den USA. Damit kann man natürlich auch als Prüfer etwas betriebsblind werden und der Prüfer befindet sich in einer etwas fragwürdigen Position.

Die Industrie muss sich die Frage stellen, ob sie weiter in Richtung noch mehr Automatisierung gehen soll.

Aber das ist nicht nur ein Problem bei Boeing, sondern ein grundsätzliches. Auch die Systeme von Airbus sind sehr komplex. Es stellt sich die Grundsatzfrage, wie diese wirklich geprüft werden können. Man kann problemlos zum Beispiel die Anzahl Sensoren prüfen, aber als externe Prüfer einen Fehler in der Software finden, den selbst die Entwickler nicht bemerkt haben, ist eine Herausforderung.

Fehler also offenbar sowohl bei der Produktion als auch bei der Kontrolle. Was läuft da falsch?

Es wirft vor allem die Grundsatzfrage auf, ob die Automatisierung moderner Flugzeuge hier an ihre Grenzen stösst. Faktisch sollen Flugzeuge heute alleine fliegen können. Im aktuellen Fall war es den Piloten in einer Ausnahmesituation nicht möglich, einzugreifen und zu korrigieren. Weil sie einerseits nicht entsprechend instruiert waren und es das System nicht zuliess. Das ist sehr problematisch. Die Industrie muss sich die Frage stellen, ob sie weiter in Richtung noch mehr Automatisierung gehen soll.

Das Interview führte Claudia Weber.

Meistgelesene Artikel