277'000 Angestellte, 91 Milliarden Franken Umsatz – Nestlé ist eines der wichtigsten Unternehmen der Schweiz. Mit seinen Produkten von Wasser, über Pasta und Kaffee bis zu Tiernahrung gehört der Lebensmittelkonzern zum Alltag sehr vieler Menschen.
Kontroversen gehörten ebenfalls stets zum Unternehmen. In letzter Zeit hat es sich aber auf mehreren Ebenen in grössere Probleme manövriert.
1. Die unstete Führung
Die Konstante an der Spitze des Unternehmens hiess in den vergangenen Jahren Paul Bulcke. Nun hat auch der Nestlé-Präsident seinen vorzeitigen Rücktritt verkündet. Sein Konzernchef Laurent Freixe hatte eine Beziehung zu einer direkt Unterstellten verheimlicht – und Paul Bulcke hat offenbar zu spät gehandelt. Bereits vor Freixe musste Konzernchef Mark Schneider gehen. Dieser hatte, so sieht das ZKB-Analyst Patrik Schwendimann, das Unternehmen zu sehr auf die kurzfristigen Interessen der Aktionäre und Aktionärinnen ausgerichtet. Dabei sei die Nahrungsmittelindustrie keine komplizierte Industrie: «Es geht um starkes Marketing, um gute, überlegene Produkte. Und das wurde bei Nestlé etwas vernachlässigt.» Das neue Duo aus Konzernchef Philipp Navratil und Verwaltungsratspräsident Pablo Isla wird sich jetzt auf dieses Kerngeschäft rückbesinnen müssen.
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Bild 1 von 6. Nach Jahrzehnten im Konzern ist beiden ein Verhältnis zwischen Laurent Freixe zu einer Unterstellten zum Verhängnis geworden: CEO Laurent Freixe (L) und VR-Präsident Paul Bulcke (R). Freixe ist entlassen und Bulcke geht auf den 1. Oktober. Bildquelle: Keystone / JEAN-CHRISTOPHE BOTT.
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Bild 2 von 6. Mark Schneider leitete Nestlé von 2017 bis 2024. Er musste gehen, weil er die Erwartungen der Investoren und Investorinnen nicht erfüllt hat. Sein Vorgänger war Paul Bulcke selbst gewesen. Bildquelle: Keystone / LUDOVIC MARIN.
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Bild 3 von 6. Bulcke vorangegangen war Peter Brabeck. Er amtete von 1997 bis 2008 als Konzernchef. Bildquelle: Keystone / LAURENT GILLIERON.
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Bild 4 von 6. Nun leitet Philipp Navratil die Geschicke des Konzerns Nestlé. Er ist nach der Entlassung von Laurent Freixe zum CEO ernannt worden. Navratil arbeitet seit mehr als 20 Jahren für Nestlé, zuletzt als Leiter der Sparte Nespresso. Bildquelle: Nestlé.
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Bild 5 von 6. Neuer Präsident ist Pablo Isla. Er leitete den spanischen Kleidungskonzern Inditex und ist seit 2022 Nestlé-Vizepräsident. Er hätte Paul Bulcke im Frühjahr 2026 beerben sollen. Bildquelle: Keystone / CABALAR.
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Bild 6 von 6. Das Jahr 2025 wird der Schweizer Konzern mit einer neuen Doppelspitze beenden. Bildquelle: Keystone / CHRISTIAN BEUTLER.
2. Das zu grosse Portfolio
Nestlé ist als grösster Nahrungsmittelkonzern der Welt sehr breit aufgestellt. Zu breit, finden Investoren. Sie fordern eine Fokussierung auf wenige Dutzend Kernmarken. Heute sind es mehr als 2000 unterschiedliche Marken. Am meisten verdient das Unternehmen in den Bereichen Kaffee, Heimtiernahrung und Nutrition (Babynahrung, Nahrung zur Unterstützung der Gewichtsreduktion usw.). Wasser und Süsswaren spielen inzwischen eine geringere Rolle und tragen gemeinsam nur noch zu 13 Prozent des Umsatzes bei.
3. Das schlechte Image
Nestlé hat eine lange Geschichte an Kontroversen. Zwei Beispiele: In den 1970er und 1980er Jahren formierte sich ein internationaler Widerstand gegen die Babymilch-Ersatzprodukte des Konzerns. Nestlé wurde vorgeworfen, diese Produkte zu aggressiv zu vermarkten, und noch schlimmer: Mütter seien zu wenig aufgeklärt worden und hätten verunreinigtes Wasser zur Zubereitung verwendet. In neuerer Zeit geriet Nestlé vor allem für seinen Umgang mit Trinkwasser in die Kritik. Dem Konzern wurde vorgeworfen, in Ländern mit Wasserknappheit dieses abzupumpen, um es in anderen Weltgegenden zu verkaufen. Das Unternehmen reagierte jeweils mit Rechtfertigungen und Image-Kampagnen. Nestlé ist zwar die wertvollste Marke der Schweiz und gehört in Rankings zu den innovativsten Unternehmen, konnte sich aber nie einer besonderen Beliebtheit erfreuen.
4. Der taumelnde Aktienkurs
Nestlé hat seit 2022 rund 40 Prozent an Börsenwert verloren. Die Aktie fiel von knapp 130 auf gegenwärtig gut 70 Franken. Das ist laut Investoren ein Zeichen für eine Vertrauenskrise. ZKB-Analyst Patrik Schwendimann weist darauf hin, dass rund ein Achtel des gesamten Schweizer Aktienmarkts aus Nestlé besteht. Der Kurszerfall ist auch für die Allgemeinheit ein Problem. Denn über die Pensionskassen halten praktisch alle Schweizer und Schweizerinnen Anteile an Nestlé. «Jeden hundertsten Franken investieren die Pensionskassen in Nestlé», sagt Patrik Schwendimann. Seiner Ansicht nach ist Nestlé zurzeit «klar unterbewertet».