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Füllstände der Speicherseen Stromhandel mit Wasserreserven – ein Zielkonflikt

Die grossen Speicherseen sind in Zeiten, in denen Energie knapp werden könnte, die wichtigsten Batterien der Schweiz. Doch die Frage ist, wann zapft man sie an?

Thomas Nordmann beobachtet die Energieströme in und aus der Schweiz. Er ist Spezialist für Energiemanagement und einer der Köpfe hinter der Datenplattform Swiss Energy Charts. Wenn er die aktuellen Zahlen anschaut, fallen ihm zwei Dinge auf. Erstens: «Erstaunt stellen wir fest, dass wir in diesem Jahr – und dieses gilt als ein trockenes Jahr – die Speicherstauseen etwa 14 Prozent höher gefüllt haben als im Vorjahr.»

Das zweite stimmt den Fachmann weniger zuversichtlich: «Wenn wir den momentanen Füllstand der Speicher ansehen, dann sind von den knapp neun technisch möglichen Terawattstunden nur knapp fünf gespeicherte Wasserkraft in unseren Stauseen.» Es stelle sich die Frage, so Nordmann: «Können wir bis zum Beginn der Saison diese fünf Terawattstunden noch erhöhen? Denn der billigste Speicher ist der, den wir schon haben.»

Der billigste Speicher ist der, den wir schon haben.
Autor: Thomas Nordmann Spezialist für Energiemanagement

Grund für diese im Sommer jeweils generell tiefen Füllstände ist der Stromhandel. Die Stromkonzerne in der Schweiz handeln mit Strom aus Stauseen. Sie importieren den Strom wenn möglich günstig aus Deutschland, Frankreich oder Österreich, pumpen damit Wasser in die Stauseen und verkaufen ihn ein paar Stunden oder Wochen später den Kunden in der Schweiz oder zu höheren Preisen, vor allem nach Italien.

Umdenken in der Stromwirtschaft

Ein grosser Vorteil in diesem Geschäft ist, dass die Konzerne dank ihrer Speicherkraftwerke Strom quasi auf Knopfdruck produzieren können. Doch dieses Modell komme nun an seine Grenzen, sagt Nordmann. «Der Strom, den wir aus Deutschland importieren, ist etwa zu 50 Prozent fossil, zum Teil auch mit Erdgas erzeugt. In Frankreich ist es die Kernenergie, und all diese Lieferanten haben heute Schwierigkeiten.»

Die nötige Planungssicherheit sei deshalb nicht mehr ohne Weiteres gegeben, so der Energie-Statistiker. «Und das hat natürlich Auswirkungen auf die Schweiz.» Es brauche ein Umdenken in der Stromwirtschaft, um im Winter vollere Stauseen zu haben.

Die Konzerne müssen entscheiden, ob sie mit dem Wasser in den Seen jetzt gutes Geld verdienen oder es aufsparen wollen. Die grossen Stromanbieter erklären auf Anfrage, sie würden ihre Strategien durchaus den speziellen hydrologischen und politischen Umständen anpassen.

So schreibt etwa die Axpo: «Wir haben mit Blick auf mögliche Engpässe in diesem Winter bereits im letzten Winter angefangen, weniger Wasser zu turbinieren.» Zu konkreten Zahlen schweigen sich die Konzerne aus.

Knappheit im nächsten Frühling

Der Bundesrat hat im Februar, noch vor Kriegsbeginn, angekündigt, dass er eine Wasserkraft-Reserve einführen will. Wie gross diese sein soll, wie die Stromkonzerne dafür entschädigt und ab wann sie angelegt werden sollen, wird laut Bundesamt für Energie derzeit erarbeitet.

Weitere Massnahmen wie ein höherer Pflichtfüllstand oder eine Pflichtreserve von verstrombarem Wasser seien aber nicht geplant, heisst es beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung. Ob und wie dramatisch sich die Versorgungslage mit Energie entwickeln wird, ist noch offen. Die Trockenheit wird eine grosse Rolle spielen.

Problematisch sei aber nicht der Winter, so Nordmann: «Die kritische Periode ist Mitte März bis Mitte April, wenn die Stauseen möglicherweise schlecht oder ungenügend gefüllt sind, bis die Schneeschmelze beginnt.» Knapp werden dürfte Wasserstrom also allenfalls im Frühling.

Info 3, 18.07.2022, 12:00 Uhr

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