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Immobiliensektor Chinas Wirtschaft im Strudel der Immobilienkrise

Die Nachricht hat vor wenigen Tagen aufhorchen lassen: Evergrande, eine der grössten Immobilienfirmen Chinas, hat in den USA Zahlungsunfähigkeit angemeldet. Ein weiterer chinesischer Immobilienkonzern, Country Garden, stürzte diese Woche an der Börse ab. China-Korrespondent Samuel Emch ordnet die Geschehnisse im kriselnden chinesischen Immobiliensektor ein.

Samuel Emch

China-Korrespondent

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Samuel Emch ist seit dem Sommer 2022 Ostasien-Korrespondent für SRF. Zuvor war er während mehrerer Jahre Wirtschaftsredaktor bei SRF.

Was passiert in der chinesischen Immobilienbranche?

Es ist Ausdruck der andauernden Krise im chinesischen Immobiliensektor. Seit die Regierung vor rund drei Jahren Massnahmen ergriff, um der Spekulation in diesem Sektor entgegenzuwirken, sind unzählige überschuldete Immobilienentwickler in China bankrottgegangen. Evergrande machte bereits 2021 weltweit Schlagzeilen mit seinen Schuldenproblemen, weil es sich hier um einen der grössten Immobilienentwickler in China handelt. Die Geschehnisse diese Woche in den USA bezüglich Evergrande sind ein Schritt der Bewältigung dieser andauernden Immobilienkrise.

Menschen vor einem Gebäude des Immobilienkonzerns Evergrande in Beijing.
Legende: Menschen vor einem Gebäude des Immobilienkonzerns Evergrande in Beijing. Keystone/EPA/ROMAN PILIPEY

Welche Bedeutung hat die Immobilienbranche in China?

Sie ist sehr wichtig: Ökonominnen und Ökonomen Chinas sagen, es sei die wichtigste Branche. Der Sektor macht zum Beispiel trotz Krise noch ein Viertel der wirtschaftlichen Aktivitäten aus; vor der Krise war es noch mehr. Viele Chinesinnen und Chinesen haben einen grossen Teil ihres Ersparten in Wohnungen und Häuser investiert. Schätzungen gehen von 70 Prozent aus. Der Sektor ist also enorm wichtig für China.

Besteht Ansteckungsgefahr für andere Bereiche?

Natürlich hat es Auswirkungen, zum Beispiel auf die Baubranche oder die Nachfrage nach Stahl, Beton und anderen Baumaterialien. Ökonominnen und Ökonomen verweisen auch auf psychologische Effekte: Wenn diese Branche in der Krise ist und Chinesinnen und Chinesen das Gefühl haben, dass ihr Vermögen an Wert verliert, dann werden sie auch zurückhaltender beim Konsum. Die Krise im Immobiliensektor dient also bis zu einem gewissen Grad auch zur Erklärung, weshalb der Konsum so verhalten ist in China.

Was macht die Regierung, um der Krise entgegenzuwirken?

Mit Blick auf den Immobiliensektor wurden in den letzten Monaten bereits mehrere Massnahmen ergriffen, um die Situation zu stabilisieren. Dabei geht es vor allem darum, den kriselnden Konzernen zu Liquidität zu verhelfen und Wohnungen und Häuser, die bereits verkauft wurden, fertig zu bauen. Zudem wurden eben die Zinsen gesenkt. Während in Europa und in den USA die Zinsen gestiegen sind, versucht die Zentralbank die Wirtschaft in China mit tieferen Zinsen zu stützen.

Wie ist die Krise im Alltag zu spüren?

Dass es in der Wirtschaft im Moment nicht mehr so rund läuft, sieht und hört man derzeit schon. Ich kann vor allem von dem sprechen, was ich in der Wirtschaftsmetropole Schanghai höre und was ich von anderen grossen Wirtschaftszentren im Land mitbekomme. Die Leute sprechen von einer Krise. Ich habe das Gefühl, dass man es auch auf der Konsumseite beobachten kann. Also trendige Restaurants, die sonst immer ausgebucht sind, haben an einem Samstagabend nun freie Tische. Wenn man in ein Shoppingcenter geht, gibt es teilweise im 2. und 3. Stock leere Flächen und man sieht, wie Läden im Begriff sind zu schliessen.

Sind Auswirkungen auf die globale Wirtschaft zu erwarten?

China ist ein wichtiger Abnehmer von Hochtechnologie aus Europa oder den USA. Wenn die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt in eine länger dauernde Krise rutschen sollte, dann wird das auch Auswirkungen auf die globale Wirtschaft haben.

Echo der Zeit, 20.08.2023, 18:00 Uhr ; 

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