Zum Inhalt springen

Neue IWF-Studie Warum ein Lockdown der Wirtschaft helfen kann

Ein Lockdown mag die Ausbreitung der Corona-Pandemie effektiv aufhalten, ist aber Gift für die Wirtschaft – so die gängige Meinung. Doch eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) kommt zum Schluss, dass richtig eingesetzte Lockdowns die Wirtschaft vor noch grösseren Verlusten schützen. Denn damit werde den Menschen die Angst genommen – und sie konsumierten weiter, weiss SRF-Wirtschaftsredaktorin Charlotte Jacquemart.

Charlotte Jacquemart

Wirtschaftsredaktorin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Charlotte Jacquemart hat an der Universität Zürich Ökonomie studiert und arbeitet seit Juni 2017 als Wirtschaftsredaktorin bei Radio SRF. Zuvor war sie 13 Jahre lang bei der «NZZ am Sonntag» tätig.

SRF News: Lockdowns und damit die Wirtschaft vor weiteren Verlusten schützen. Wie passt das zusammen?

Charlotte Jacquemart: Die gängige Meinung ist, dass man nur wählen kann zwischen vielen Pandemie-Toten und einem heftigen Verlust für die Wirtschaft. Das stimmt laut IWF so verkürzt aber nicht. Denn wenn Menschen Angst vor der Pandemie haben, wenn die Lage ausser Kontrolle gerät, gehen sie auch nicht mehr auf die Strasse – und konsumieren nicht mehr.

Wer Kühlwagen mit Leichen vor den Spitälern sieht, geht auch nicht mehr Pizza essen.

Und weil diese Angst dann anhält, weil die Fälle ja steigen und kein Ende absehbar ist, kann die Wirtschaft sogar stärker und länger einbrechen als bei einem heftigen, aber beschränkten Lockdown. Gut illustriert hat das New York im Frühling: Dort standen Kühlwagen vor den Spitälern, weil man keinen Platz mehr hatte für die Leichen. Wer so etwas sieht, bleibt von sich aus zu Hause. Die Lust, auswärts eine Pizza essen zu gehen, vergeht einem so auch ohne Lockdown.

Wie begründen die Autoren der IWF-Studie diesen Befund?

Der IWF hat Zahlen zu Mobilität und Jobs in 128 Ländern untersucht. Einige hatten einen strengen Lockdown, andere einen weniger strengen oder gar keinen. Es zeigt sich: Länder mit einem schnellen und sehr strengen Lockdown hatten zwar einen heftigen Wirtschaftseinbruch, erreichten damit aber, dass nur sehr wenige Menschen an der Pandemie starben.

Die Menschen fühlen sich nach einem strikten Lockdown sicherer – und konsumieren rascher wieder.

Auch fühlten sich die Menschen sicher, als die strikten Lockdownmassnahmen wieder gelockert wurden. Entsprechend wurde rasch wieder konsumiert und die Firmen schafften neue Stellen. Im Gegensatz dazu dauert es in Ländern ohne schnellen und strengen Lockdown länger, bis Firmen neue Jobs aufbauen und Menschen wieder konsumieren.

Können sie das an einem konkreten Beispiel erläutern?

Das zeigt etwa der Vergleich von Asien mit den USA: China hat sehr schnell alles runtergefahren, es war ein totaler Shutdown, viel strenger als bei uns. Inzwischen hat sich die Wirtschaft Chinas bereits wieder erholt, sie wird dieses Jahr nach den Prognosen des IWF sogar wachsen.

Damit sich die Wirtschaft nach einem strengen Lockdown schnell erholt, darf die Zahl der Fälle nicht wieder ansteigen.

Das Gegenteil sehen wir in den USA: Dort gibt es ausser in Grossstädten keine flächendeckenden Massnahmen und der Einbruch der Wirtschaft, der Jobverlust ist umso heftiger. Damit sich die Wirtschaft nach einem strengen Lockdown aber wirklich auch schnell erholt, müssen die generellen Covid-19-Regeln strikte eingehalten werden – also Maskenpflicht, Distanz, Contact Tracing, Isolieren von Infizierten etc. Die Zahl der Fälle darf nicht wieder ansteigen. Ebenfalls erfolgreich mit einer solchen Strategie sind etwa Neuseeland oder Ruanda.

Der IWF hat auch untersucht, wen ein Lockdown über Nacht am stärksten trifft.

Ein totaler Lockdown ist für Frauen, junge Menschen und generell für Menschen mit tiefen Einkommen am schlimmsten. Menschen ohne finanzielle Reserven kommen in Not, wenn sie nicht raus können, um Geld zu verdienen. Das gilt vor allem auch für Mütter, weil sie Zuhause bleiben müssen, wenn die Kinder nicht in die Schule gehen können. So verlieren diese Mütter ihre Einkommen.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

SRF 4 News aktuell vom 22.10.2020, 10.05 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel