Der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaft geht an drei Forscher, die in den USA lehren: David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens. «Sie haben uns neue Erkenntnisse über den Arbeitsmarkt geliefert und gezeigt, welche Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkung aus natürlichen Experimenten gezogen werden können», begründete die Akademie ihre Entscheidung. Das tönt abstrakt. Die Forschungen liefern aber praktische Erkenntnisse – auch über die Auswirkungen von Corona-Massnahmen, wie die Wirtschaftsjournalistin Karen Horn erklärt.
SRF News: In welchem Bereich kommt der prämierte Forschungsansatz heute zum Einsatz?
Karen Horn: In den Wirtschaftswissenschaften benutzen ihn alle, die mit der Frage zu tun haben, wie sich wirtschaftspolitische Massnahmen ausgewirkt haben – von der Arbeitsmarkt- über die Bildungs- bis zur Steuerpolitik. Es geht darum zu klären, ob sich das, was man sich in der Theorie gut überlegt hat, praktisch auch funktioniert hat. Ein Beispiel ist der Mindestlohn, der in den arbeitsmarktpolitischen Arbeiten von David Card im Zentrum stand. Er untersuchte, ob die Einführung eines Mindestlohns tatsächlich Arbeitsplätze kostete und sich damit die Befürchtung von Kritikern bewahrheitete.
Empirisch liess sich für die USA zeigen, dass der Mindestlohn nicht so schädlich ist, wie man annahm. Grundsätzlich braucht man für eine solche Untersuchung zwei Gruppen, die sich nur durch nur ein Zufallsmerkmal unterscheiden: Im genannten Beispiel darin, dass die eine Gruppe einer Mindestlohn-Regulierung unterstand und die andere nicht. So kann man untersuchen, wie sich politische Massnahmen in der Realität auf eine bestimmte Gruppe auswirken. Man nennt das ein «natürliches Experiment».
Viele von uns wurden zuletzt Teil eines natürlichen Experimentes – nämlich während der Pandemie. National, kantonal, teilweise sogar regional wurde mit verschiedensten Instrumenten versucht, das Virus einzudämmen. Bietet gerade die Pandemie einen Ansatzpunkt, um mit dieser Methodik zu arbeiten?
Wir konnten während der Pandemie viel Material erheben und können damit untersuchen, welche Massnahme zur Bekämpfung der Pandemie sinnvoll war und welche nicht. Ein Beispiel: In einer Gemeinde erlässt eine Schule frühzeitig eine Maskenpflicht, eine andere Schule verzichtet darauf. Der einzige Unterschied zwischen diesen Schülerinnen und Schülern ist also, dass die einen im Unterricht eine Maske tragen und die anderen nicht. Hier können wir also eine Kausalität herstellen, wie die Maskenpflicht das Ausbruchsgeschehen an den jeweiligen Schulen beeinflusst hat.
Am Anfang der Pandemie wusste man sehr wenig und es wurde sehr vieles ausprobiert. All das kann man mit diesem Ansatz wunderbar evaluieren. Noch Generationen von Wissenschaftlern werden damit zu tun haben.
Das Entscheidende ist also immer, dass es um ein natürliches Experiment geht. Dies im Gegensatz zu klinischen Studien. Dort hat man immer eine Gruppe und Kontrollgruppe, die von einem Forschenden bewusst zusammengestellt werden.
In einem grossen sozialwissenschaftlichen Experiment wäre es schlecht zu rechtfertigen, der einen Gruppe ein Medikament zu verabreichen und einer anderen nicht. Der Clou am natürlichen Experiment ist, dass niemand in eine künstliche Situation versetzt wird, in der er sich womöglich auch nicht so verhält, wie er das normalerweise tun würde.
Das Gespräch führte Matthias Heim.