Liselotte Stricker Meuli ist Laufbahnberaterin. In ihrem Atelier in Bern berät sie Leute, die eine berufliche Veränderung suchen. Es ist ein grosser gemütlicher Raum im Loft-Stil, im Hintergrund knistert das Feuer.
Sinn bei der Arbeit muss man einfordern, wenn man mehr Lebensqualität will.
Immer mehr Leute kämen zu ihr, die mehr Erfüllung und Sinn bei der Arbeit suchten, sagt sie: «Sinn bei der Arbeit darf man einfordern, ja muss man einfordern, wenn man mehr Lebensqualität möchte.» Denn macht eine Arbeit Sinn, ist die Gefahr kleiner, auszubrennen.
«Man will von einer Arbeitsstelle mehr als nur Lohn beziehen», sagt sie. Man will gesehen werden, Bedeutsamkeit erreichen und der Gesellschaft etwas geben. Erst dann ist man erfüllt bei der Arbeit, so die Laufbahnberaterin.
Über ihre beruflichen Möglichkeiten macht sich auch Anna Gedanken, die bei Liselotte Stricker Meuli in die Laufbahnberatung kommt. Auch sie sucht mehr Erfüllung bei der Arbeit.
Ich arbeite jetzt nicht 120 Prozent – aber man kann auch so ausbrennen.
Als Mitarbeiterin in einer Tagesschule hat sie eigentlich einen Beruf, den sie sehr sinnvoll findet. Sie ist aber trotzdem ausgebrannt: «Ich arbeite jetzt nicht 120 Prozent – aber man kann auch so ausbrennen», sagt sie. Es gehe unter anderem um die Frage: Wie viel stecke ich in die Arbeit, und was kommt zurück?
In ihrem Fall sei auch das System ein Problem: die fehlenden Ressourcen. Es gebe zu wenig Personal für zu viele Kinder in der Tagesschule. Als sie merkte, dass sie nicht mehr konnte, liess sie sich eine Zeit lang krankschreiben. Kurz darauf startete sie mit der Laufbahnberatung. Mit Liselotte Stricker Meuli will sie herausfinden, wie sie ihre Werte, Wünsche und Begabungen in Einklang bringen kann.
Nicht nur Anna, immer mehr Leute in der Schweiz sind erschöpft: Kürzlich zeigte eine Umfrage von GFS Bern, dass 25 Prozent der Leute in der Schweiz bei sich selbst die Gefahr eines Burnouts sehen.
Jeder Dritte ist emotional erschöpft
Ein anderes Beispiel ist der «Job-Stress-Index» der Gesundheitsförderung Schweiz. Er misst den arbeitsbezogenen Stress, sei es in Form von zu viel Arbeit oder in Form von sozialen Belastungen durch Arbeitskolleginnen und -kollegen. Wer auf Dauer mehr Belastungen als Ressourcen erlebt, fühlt sich emotional erschöpft.
Die Untersuchung zeigt: Der Anteil derer, die sich emotional erschöpft fühlen, ist letztes Jahr zum ersten Mal seit fast 10 Jahren auf über 30 Prozent gestiegen.
Unsere Vision ist eine Schweiz, die am Montagmorgen mit Lust statt voller Frust zur Arbeit geht.
So kann es nicht weitergehen, findet Hannes Burkhalter, ein Unternehmer aus Bern. Er will deshalb nächstes Jahr ein Mentoringprogramm für junge Führungskräfte starten. «Unsere Vision ist eine Schweiz, die am Montagmorgen mit Lust statt voller Frust zur Arbeit geht», sagt er.
Eines seiner Ziele: Junge Leader sollen sinnorientierter führen können. Entstanden ist sein Mentoring-Coaching und Trainingsprogramm, weil er früher ebenfalls einmal in eine Sinnkrise geraten war.
«Vor 13 Jahren bin ich nach Berlin ausgewandert und habe dort erlebt, was es für die Gesundheit bedeutet, einer Karriere nachzujagen und gleichzeitig innerlich zu verhungern. Was es mit einem macht, wenn man nicht sein wahres Potenzial lebt und die Sinnfrage nicht in den Vordergrund stellt.»
Eine Krebserkrankung hat ihn dann aufgerüttelt. Nun möchte er mit seinem Mentoring-, Trainings- und Coachingprogramm jungen Menschen zwischen 25 und 35 Jahren Unterstützung geben bei der Sinnsuche. Denn genau das habe er mit 30 vermisst, sagt er. «Da hätte ich jemanden gebraucht, der sagt, es ist nicht falsch auszuwandern, aber versuche herauszufinden, wer du wirklich sein willst, was du wirklich suchst.»
Eines seiner Ziele ist, dass die jungen Leute andere inspirieren und ganze Organisationen dazu bringen, den Sinn und die Erfüllung bei der Arbeit mehr in den Fokus zu stellen.
Sinnorientierte Unternehmen sind erfolgreicher
Eine sinnorientierte Führungskultur hilft, dass Menschen weniger ausbrennen. Das stellt auch Heike Bruch von der Universität St. Gallen fest. Bei der sinnorientierten Führung geht es darum, die Sichtweise auf die Arbeit so zu verändern, dass die Menschen den Sinn besser erkennen. Dass ein Bauarbeiter zum Beispiel sagt: Ich baue eine Kathedrale, statt: Ich hämmere auf einen Stein. Diesen Sinn müsse man aber aufzeigen, so die Professorin.
Sinnorientierte Unternehmen erzielen mehr Gewinn als jene, die auf kurzfristige Kennzahlen ausgerichtet sind.
Unternehmen mit einer sinnorientierten Führungskultur seien erfolgreicher als jene mit einem traditionellen Führungsverständnis. «Sie erzielen meist mehr Gewinn als Unternehmen, die auf kurzfristigen Profit ausgerichtet sind», sagt Heike Bruch. In diesen Unternehmen können die Mitarbeitenden auch besser mit Druck umgehen. Das zeige die Forschung ebenfalls.
Allerdings haben gerade mal 13 Prozent aller Unternehmen in der deutschsprachigen Schweiz eine sinnorientierte, inspirierende Führungskultur. Ein grosses Problem ist zudem, dass viele Chefinnen und Chefs selber am Anschlag sind.
Mehr als die Hälfte der Führungskräfte ist erschöpft, wie Befragungen von Heike Bruch zeigen: «Weil sie selbst den Sinn nicht mehr sehen oder die Leidenschaft verloren ging, können sie auch nicht inspirierend führen,» sagt die Führungsforscherin. Da müsse man zuerst dafür sorgen, dass die Führungskräfte wieder Energie haben.
Es gibt also noch viel zu tun, damit der Sinn bei der Arbeit wieder mehr in den Vordergrund rückt.