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Steuerbetrug Cum-Ex: Zürcher Justiz lässt Erpresser laufen

Zürcher Staatsanwaltschaft in der Kritik: Sie verschleppt Ermittlungen in einem internationalen Steuerbetrugsfall.

So wurde erpresst: Die Bank Sarasin vertrieb an superreiche Kunden bis 2012 Fonds, die auf illegalen Dividendentricks basierten. Zwei Kundenvermittler für die Fonds forderten für einen Zürcher Kunden, der 30 Millionen investierte, 1.5 Millionen Euro Provision. Laut Quellen, die SRF vorliegen, drohten die Vermittler, falls nicht bezahlt werde, würden «ausführliche Informationen über sämtliche zugrunde liegende Strukturen (...) dem Bundesfinanzministerium für Steuern weitergeleitet». Die Bank befürchtete eine «dramatische Eskalation von äusserst unangenehmen Konsequenzen für eine Reihe von Personen und Banken» bei Veröffentlichung des Geschäftsmodells. Letztlich zahlte die Bank eine Million Euro, um dies zu verhindern.

Der Fall Sarasin

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Die Bank Sarasin vertrieb bis 2012 vorwiegend an deutsche und Schweizer Superreiche sogenannte Cum-Ex-Fonds. Diese gründeten darauf, die Verrechnungssteuer mit einem illegalen Trick mehrfach vom Steueramt zurückerstatten zu lassen.

Doch die Tricks flogen 2012 auf. Die Steuerämter stellten ihre Zahlungen ein. Die Fonds und mit ihnen die Sarasin-Kunden erlitten einen Totalverlust.

Der Fall Sarasin entwickelte sich zu einem internationalen Finanzskandal. Plötzlich wurde sichtbar, dass nicht nur Sarasin, sondern auch andere Banken – auch Schweizer Banken – mit Cum-Ex Steuerämter hinters Licht führten.

In der Folge zogen Steuerämter vor allem in Deutschland gegen Cum-Ex-Banken und Manager vor Gericht und holten rund 3.4 Milliarden Euro zurück. Auch über zehn Jahre danach sind noch Cum-Ex-Verfahren hängig. Dabei geht es um weitere vier Milliarden Euro, welche Steuerämter von den Banken zurückfordern.

Den geschädigten Sarasin-Kunden musste die Bank Sarasin bisher über 100 Millionen Euro zurückzahlen. Die Bank nimmt keine Stellung.

Das passierte mit den Erpressern: Einer der Erpresser lebt in Deutschland, er ist eine ehemalige Führungsperson einer Schweizer Grossbank. Der zweite lebt in der Schweiz. Beide sind deutsche Staatsangehörige. Der in Deutschland lebende Mann wurde 2019 rechtskräftig wegen Erpressung zu elf Monaten bedingter Freiheitsstrafe verurteilt. Seinen Anteil von 418'000 Euro musste er zurückzahlen. Das zeigt der Strafbefehl des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck, welches den deutschen Täter verurteilte. Unbehelligt blieb der in der Schweiz lebende Kundenvermittler.

Keine Ermittlungen in der Schweiz: Der ehemalige Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Peter Biesenbach, ist heute Anwalt eines deutschen Whistleblowers. Dem Whistleblower wird in Zürich derzeit der Prozess gemacht. Der Vorwurf: Bankgeheimnisverletzung und Wirtschaftsspionage für Deutschland, weil er bankinterne Dokumente den deutschen Behörden übergab.

Biesenbach sagt im Interview mit SRF: Die Zürcher Justiz wisse von dem Erpresser seit 2014, bis heute habe sie nichts gegen ihn unternommen: «Das muss man sich vorstellen, da erpresst jemand eine Schweizer Bank und bleibt völlig unbehelligt. Für ihn hat sich das Verbrechen gelohnt, denn er kann nicht mehr verfolgt werden, weil die Tat verjährt ist». Seinen erpressten Anteil von 582'000 Franken kann er behalten. Der Mann lebt heute in der Region Zürich und arbeitet als Immobilienberater. Des Weiteren kritisiert Biesenbach die Schweizer Rechtshilfe als zu zögerlich, vieles bleibe in Zürich liegen, was die Verfahren in Deutschland massiv behindere.

Das sagt die Staatsanwaltschaft: Auf die konkrete Frage, warum sie gegen den in der Schweiz lebenden Verdächtigen nicht ermittelt habe, gibt es von der Zürcher Justiz keine Antwort. Sie schreibt summarisch, alle Schweizer Strafverfahren seien inzwischen rechtskräftig erledigt worden. Zum Vorwurf der schleppenden Rechtshilfe schreibt sie: «Das Schweizer Rechtshilferecht ist notorisch schwerfällig und zeitintensiv. Dies kann für Behörden aus Rechtsordnungen, welche kein vergleichbar komplexes Rechtshilferecht kennen, schwer verständlich sein und führt auch in unserer Zusammenarbeit mit dem Ausland immer wieder zu Erklärungsbedarf. Der Staatsanwaltschaft sind aber diesbezüglich die Hände gebunden.»

Rechtskräftig erledigt seien Strafverfahren auch, wenn man sie verjähren lasse, sagt Peter V. Kunz, Wirtschaftsrechtsprofessor an der Universität Bern. Die Argumentation der Zürcher Justiz lässt er nicht gelten. Abklären müsse man jetzt aufgrund der Quellenlage, ob der Staatsanwalt seine Pflichten verletzt habe, sagt Kunz.

Rechtsprofessor: «Mögliche Pflichtverletzung»

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Erpressung ist ein schweres Delikt mit einer Strafandrohung von fünf Jahren. Es ist ein sogenanntes Offizialdelikt. Eine Staatsanwaltschaft muss von Gesetzes wegen bei einem hinreichenden Verdacht ermitteln.

SRF legte das Quellenmaterial Peter V. Kunz, Wirtschaftsrechtsprofessor an der Universität Bern, vor. Er sagt: «Allein aufgrund der deutschen Unterlagen und des Rechthilfegesuchs hat die Zürcher Justiz mehr als genügend Verdachtsmomente für eine Ermittlung gehabt. Ich kann mir nicht erklären, weshalb sie in dieser Sache kein Verfahren eröffnet hat.» Aufgrund der ihm vorliegenden Dokumente geht er davon aus, dass eine Pflichtverletzung der Zürcher Justiz vorliegen könnte.

«Wenn ein Staatsanwalt seine Pflichten verletzt, muss er mit juristischen Konsequenzen rechnen. Es kann zu einem Strafverfahren wegen Begünstigung führen oder zu einem Disziplinarverfahren.» Der Staatsanwalt hätte im konkreten Fall nicht wahnsinnig viel machen müssen, ausser mal die Akten zu lesen, sagt Kunz.

Rendez-vous, 6.12.2024, 12:30 Uhr; siem;stal

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