Laut Statuten ist es eindeutig: Ein neuer Gesamtarbeitsvertrag (GAV) muss der Delegiertenversammlung vorgelegt werden. Das jedoch hat der Vorstand von Coiffure Suisse im Oktober 2023 nicht getan. Sondern die Abstimmung über den neuen GAV für «dringlich» erklärt und mit 15:11 im Alleingang abgesegnet. Das Staatssekretariat für Wirtschaft, Seco, erklärte den GAV für die Coiffeure und Coiffeusen daraufhin auf den ersten Januar 2024 für allgemeinverbindlich.
Dass sie als Mitglieder nicht in die Abstimmung über den neuen GAV einbezogen worden waren, wie es die Statuten verlangten, stiess vielen Coiffeursalons sauer auf. 26 von ihnen klagten vor dem Berner Handelsgericht. Und dieses gab den Klägern nun Recht: Der Verbandsvorstand hätte nicht selbstherrlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit – beziehungsweise der Verbandsmitglieder – über den GAV entscheiden dürfen. Das Gericht hebt den entsprechenden Präsidialbeschluss auf. Der Entscheid des Berner Handelsgerichtes liegt Radio SRF vor.
An Delegiertenversammlung dürften Fetzen fliegen
Die Niederlage vor Gericht kommt dem Vorstand von Coiffure Suisse ungelegen: Am kommenden Sonntag und Montag muss die Führungsriege in Lugano vor den Delegierten antraben, die jährliche Delegiertenversammlung steht an. Dort dürften die Fetzen fliegen, haben die Kritiker des Vorstandes doch gerichtlich Recht erhalten.
Der Zentralpräsident von Coiffure Suisse, Damien Ojetti, nimmt das Urteil zur Kenntnis. «Wir verlangen nun die schriftliche Begründung vom Gericht und behalten uns vor, das Urteil ans Bundesgericht weiterzuziehen.» Ojetti verteidigt den Alleingang des Vorstandes damit, dass 2023 die Zeit nicht mehr gereicht habe, um vor dem Jahresende die Delegierten über den GAV abstimmen zu lassen.
Die Vorgehensweise des Coiffure-Suisse-Vorstandes war rechtswidrig. Er muss nun die Verantwortung übernehmen.
Auf der Klägerseite zeigt sich Graziano Cappilli, Präsident der Swiss Hair Group, erfreut vom Berner Urteil. Cappilli spricht von massivem Vertrauensverlust: «Die Vorgehensweise des Coiffure-Suisse-Vorstandes war rechtswidrig, wie das Handelsgericht Bern nun festgestellt hat.» Dass der Verband das Urteil weiterziehen will, findet Cappilli inakzeptabel: «Der Vorstand muss dafür die Verantwortung übernehmen.» Schon jetzt habe der Verband Zehntausende von Franken für den Rechtsstreit ausgegeben. Kosten, für die letztlich die Mitglieder aufkommen müssten.
Rücktrittsforderung an Zentralpräsidenten
Cappilli ist nicht der einzige, der den Rücktritt des Zentralpräsidenten von Coiffure Suisse fordert. Ein Herausforderer von Damian Ojetti steht mit Markus Schumacher am Wochenende in Lugano bereit. Der aktuelle Zentralpräsident Ojetti gibt sich allerdings gelassen. «Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen der Abfuhr vor Gericht und meiner Wiederwahl.» Dicke Luft dürfte an der Delegiertenversammlung in Lugano allemal herrschen – egal, wie die Wahl ausfallen wird.
Wie es mit dem GAV der Coiffeure und Coiffeusen nach dem Entscheid des Berner Handelsgerichtes weitergeht, ist unklar. Bevor man eine konkrete Einschätzung vornehmen könne, müsse man das Urteil analysieren, heisst es im Seco. Grundsätzlich gilt: Nur geltende GAVs kann das Seco für allgemeinverbindlich erklären. Verliert ein GAV seine Geltung, müsste das Seco ihn wohl für nicht mehr verbindlich erklären.