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Tiefrotes Ergebnis SNB-Ausschüttungen für Bund und Kantone in Gefahr

Die SNB meldet einen Halbjahresverlust von 95.2 Milliarden Franken. Die Einschätzung von fünf Ökonomen.

Die Schweizerische Nationalbank verwaltet Fremdwährungen in der Höhe von rund 1000 Milliarden Franken. Geld, das sie im Kampf gegen den starken Franken angehäuft hat. Aus dem Anlageergebnis konnte die SNB bisher fast jedes Jahr einen grossen Betrag an Bund und Kantone ausschütten. Im ersten Halbjahr 2022 verbuchte die SNB nun aber einen gigantischen Verlust von 95.2 Milliarden Franken. Die Einordnung von Ökonomen zu den drei wichtigsten Fragen:

Ist die Ausschüttung aus dem Jahr 2022 gefährdet?

Abgerechnet wird erst Ende Jahr. Aber der massive Halbjahresverlust wirft die Frage auf, ob Bund und Kantone im laufenden Geschäftsjahr leer ausgehen.

    • Dirk Niepelt, Volkswirtschaftsprofessor Universität Bern: «Es schaut so aus, als gäbe es dieses Jahr keine Ausschüttung. Zumindest sind wir hart an der Grenze.»
    • Jan-Egbert Sturm, Leiter KOF/ETH Zürich: «Mit solch grossen Summen ist es tatsächlich nicht sehr wahrscheinlich, dass die Ausschüttung auf dem gleichen Niveau bleibt, wie es bis jetzt der Fall war.»
    • Aymo Brunetti, Volkswirtschaftsprofessor Universität Bern: «Das heisst nicht, dass sich generell etwas daran ändert, dass die SNB in der Regel Gewinne ausschütten wird. Aber in diesem Jahr wird es speziell.»
    • Yvan Lengwiler, Nationalökonomieprofessor Universität Basel: «Es wäre eigentlich anständig von der SNB, mindestens die Rückstellungen dieses Jahr nicht zu erhöhen, damit mehr Geld für die öffentliche Hand zur Verfügung steht.»

Kann sich das Blatt wenden?

Die SNB legt ihre Fremdwährungen an den Finanzmärkten an, etwa in Aktien oder Anleihen. Im ersten Halbjahr tauchten die Finanzmärkte. Das bescherte der SNB einen happigen Verlust. Wie geht es weiter?

    • Klaus Wellershoff, Ökonom und Unternehmensberater: «Die Rezession, die jetzt mit grosser Wahrscheinlichkeit auf die Weltwirtschaft zukommt, ist in den Kursen noch gar nicht drin. Und das wird zumindest für die Aktienanlagen der SNB noch einmal Milliardenverluste bedeuten.»
    • Aymo Brunetti: «Wenn sich bei dieser grossen Bilanz der Schweizer Franken weiter aufwertet und wir Verluste auf den Finanzmärkten haben, kann es einige Jahre tiefe Gewinne und damit wenig oder gar keine Ausschüttungen geben.»
    • Yvan Lengwiler: «Ich glaube nicht, dass die Ausschüttungen längerfristig gefährdet sind. Mit einer derart grossen Bilanz machen sie im Durchschnitt auch einen anständigen Gewinn.»

Bringen Milliardenverluste die SNB in Bedrängnis?

Die SNB muss für stabile Preise sorgen. Ob sie dabei auf ihren Devisenanlagen Gewinne oder Verluste erwirtschaftet, ist zweitrangig. Aber können happige Verluste die Stabilität der SNB gefährden? Schliesslich zehren Verluste am Eigenkapital.

    • Yvan Lengwiler: «Ich glaube nicht, dass die Glaubwürdigkeit der Nationalbank deutlich leiden würde, wenn ihr Eigenkapital geringer oder sogar negativ würde. Es gibt Beispiele auf der Welt von Notenbanken, die mit sehr, sehr wenig Eigenkapital auskommen.»
    • Jan-Egbert Sturm: «Rein theoretisch kann eine Zentralbank wie die SNB auch ein negatives Eigenkapital haben, ohne dass das per Definition Probleme mit sich bringen müsste. Nur: Wir fangen alle an zu zweifeln an der Fähigkeit der SNB, noch vernünftig Geldpolitik machen zu können.»
    • Klaus Wellershoff: «Ich glaube, die Geldpolitik der letzten Jahre hat jetzt das Fundament gelegt, dass wir doch ein gutes Stück unseres bisher sehr hohen Vertrauens in die Nationalbank verlieren könnten.»

SRF 4 News, 29.07.2022, 08:00 Uhr

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