Donald Trump wirft gerade riesengrosse Steine in die heile Welt der Pharmafirmen. Sie schröpften die USA und bereicherten sich ungerechtfertigt, findet er. Und: Jetzt müssen die Preise runter, sonst gibt es Zölle. Bis zu 250 Prozent.
Auch Uhrenunternehmer Georges Kern hat einen Stein geworfen, als er sagte, die Schweiz sei «in Geiselhaft der Pharmaindustrie». Die Branche, die jahrelang Erfolg an Erfolg reihte, ist im Gegenwind.
Trump hat die Pharma zu einem Risiko für die Schweiz gemacht.
Von den aktuell geltenden 39-Prozent-Zöllen sind Lonza, Novartis, Roche und Co. bislang ausgenommen. Und doch hat die Zahl viel mit ihnen zu tun. Dass die Schweiz viel mehr in die USA exportiert als von dort importiert, ist massgeblich auf sie zurückzuführen. Mehr als die Hälfte aller Ausfuhren stammen von der Pharmaindustrie.
Und das ist es, was Trump zu hohen Zöllen verleitet: das Handelsbilanzdefizit der USA. Schweizer Firmen, die nun auf Exporte in die USA 39 Prozent Zoll bezahlen, zahlen quasi für den Erfolg der Schweizer Pharma. Oder wie es der KOF-Ökonom Hans Gersbach sagt: «Trump hat die Pharma zu einem Risiko für die Schweiz gemacht.»
Die Pharma hat sich zum stabilen Riesen entwickelt
Über 50'000 Menschen arbeiten in der Schweizer Pharmaindustrie. Fast zehn Prozent der gesamten Schweizer Wirtschaftsleistung gehen auf sie zurück, Produktivität und Wertschöpfung wachsen laut dem Prognoseinstitut BAK Basel zweistellig. Im Export hat sich die Bedeutung der Pharmafirmen seit der Jahrtausendwende fast verdoppelt. Und in mehreren Kantonen sind Pharmafirmen und Manager willkommene und wichtige Steuerzahler.
Dieser Anstieg hat auch damit zu tun, dass die Nachfrage nach Pharmaprodukten konjunkturellen Schwankungen trotzt und dadurch relativ stabil ist. Oft sind die Kunden ins staatliche Gesundheitssystem eingebunden. Damit hat die Branche einen gewichtigen Vorteil gegenüber der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, die noch im vergangenen Jahrhundert den Export dominierte. Deren Geschäft bewegt sich in Zyklen.
Stärke ist eine Hypothek für ein Land, wenn es zu stark wird und die Grossmächte das nicht akzeptieren.
Zudem ist die Pharmaindustrie globaler ausgerichtet, als es die MEM-Industrie in den 1970er-Jahren mit ihrem Fokus auf Europa war. Mehr Märkte heisst: mehr Verdienstmöglichkeiten.
Vorher kamen die Banken dran, jetzt die Pharmaindustrie
Der Erfolg der Schweizer Pharmafirmen, die sich längst mit den Weltbesten messen, birgt Risiken. «Kleinstaaten, die wirtschaftlich in einer ähnlichen Liga spielen wie die grossen Länder, aber politisch schwach sind, kommen früher oder später unter Druck», sagt Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann. «Das haben wir bei den Banken gesehen, man sieht es jetzt auch bei der Pharmaindustrie.» Stärke sei eine Hypothek für ein Land, «wenn es zu stark wird und die Grossmächte das nicht akzeptieren.»
Dieser Druck sei schmerzhaft, bedeute aber nicht das Ende. Das habe die Krise ums Bankgeheimnis gezeigt: «Beim Finanzplatz musste man grosse Konzessionen machen. Er ist aber nicht verschwunden, er ist einfach kleiner geworden.»
Dass es schmerzhaft wird, zeichnet sich ab: Roche hat angekündigt, 50 Milliarden Dollar in den USA zu investieren, bei Novartis sind es 23 Milliarden. In den USA, nicht in der Schweiz.
Hinzu kommt das Damoklesschwert der Preise: Wenn die Hersteller ihre Medikamente in den USA günstiger verkaufen müssen, sinken Marge und Konzerngewinn. Es bleibt weniger Geld, um in neue Medikamente zu investieren.
«Der Markt wird kleiner»
«Beides könnte der Anfang von strukturellen Umwälzungen sein», sagt René Buholzer, Geschäftsführer des Verbands Interpharma, der die Interessen der Branche vertritt. Natürlich dauert es einige Jahre, bis Roche und Co. in den USA neue Fabriken hochgezogen haben. Aber wenn sie einmal stehen, werden künftig mehr Medikamente für die USA in den USA produziert. «Eine Entwicklung, die wir bereits früher in China gesehen haben», sagt Buholzer. «Der Markt, der übrig bleibt, wird kleiner: minus USA, minus China.»
Das starke Wachstum des Pharmasektors, das wir in der Vergangenheit hatten, wird nicht mehr in diesem Ausmass stattfinden.
Wenn es weniger Exportmöglichkeiten gibt, setzt dies dem Pharmastandort Schweiz zu. Buholzer fordert deshalb bessere Rahmenbedingungen: weniger Bürokratie für die Firmen, Digitalisierung des Gesundheitswesens, neue Handelsabkommen. Und er warnt: Mit ihren Pharma-Cluster seien Basel, Zug und das Welschland zwar exponiert. «Aber über den Finanzausgleich sind wir alle betroffen – auch Regionen, die keine Pharmafirmen haben.»
Nicht nur er warnt vor dem Bedeutungsverlust. «Das starke Wachstum des Pharmasektors, das wir in der Vergangenheit hatten, wird nicht mehr in diesem Ausmass stattfinden», sagt ETH-Ökonom Hans Gersbach. Das heisst im Umkehrschluss: «Ein Teil der Trump-Ziele wird erreicht.»
Andere Branchen könnte es stärker treffen
Dennoch spricht laut Wirtschaftshistoriker Straumann einiges dafür, dass es am Schluss nicht die Pharmabranche ist, die den grössten Schaden von Trumps Powerplay davonträgt. Aus seiner Sicht könnte es bei Herstellern von Uhren, Maschinen und Konsumgütern grössere Verwerfungen geben, «weil sie teils tiefere Margen haben und nicht so stark international ausgerichtet sind wie die Pharma».
Die Unterschiede zeigen sich am Beispiel der Uhrenmanufakturen: Für sie sei die Hürde, die Produktion ins Ausland zu verlagern, besonders gross. Weil sie das Know-how in der Schweiz behalten wollen. Und weil «Swiss Made» ein wichtiges Kriterium ist für einen höheren Verkaufspreis.
Der Aufstieg der Pharma, die hohen Exporte, Trumps Ärger: Es verschiebt sich gerade einiges. Der Blick zurück könnte indes dazu ermuntern, nicht in Panik zu verfallen. Der Aussenhandel, so Tobias Straumann, hat der Schweiz immer mal wieder Probleme bereitet. Aber: «Noch nie ist eine Branche vollkommen zusammengebrochen wegen einer protektionistischen Politik vom Ausland.»