Das Urteil: Die Uefa und die Fifa haben gegen das EU-Wettbewerbsrecht verstossen, als sie die Pläne für die abtrünnige European Super League blockierten. Das hat der EuGH in einem aufsehenerregenden Urteil festgehalten. Was bedeutet das für den Fussball? Urs Scherrer, Sport- und Vereinsrechtsspezialist und langjähriger Vizepräsident des FC Zürich, wird auf das Urteil angesprochen deutlich: «Das ist eine Bombe und eine historische Sache.» Sportökonom Marco Casanova von der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) findet hingegen: «Das ist keine Revolution.»
Ein Angriff auf den Status Quo: Die Champions League ist die Bühne der Grossen der Fussballwelt: Real Madrid, Bayern München oder Juventus Turin. Doch es ist die Uefa, die über TV-Gelder und Sponsorings bestimmt. Möglich machen dies Verbandsklauseln. Nur die Uefa darf demnach länderübergreifende Wettbewerbe in Europa organisieren. Wer nicht spurt, hat Konsequenzen zu befürchten. Genau in diesem Punkt ist das Gericht aktiv geworden und hat die Sanktionsandrohung für nichtig erklärt. «Dieses Urteil ist eine Kampfansage an die Uefa», so Jurist Scherrer.
Eine Interessenabwägung: Die Kriterien für eine Zulassungsmacht der Uefa und der Fifa müssen gemäss den Richterinnen und Richtern inhärent und proportional sein. Sprich: Sie müssen dem Wohle des Fussballs beziehungsweise der Attraktivität des Sports für die Zuschauenden zugutekommen. Inwiefern die geplante Super League damit bricht, ist fraglich. Die Initianten der Super League haben zudem stets betont, dass sie die bestehenden nationalen Ligen schützen möchten. Etwa, in dem sie unter der Woche spielen würden und somit Ligaspiele am Wochenende nicht tangieren würden.
«Die Super League wird kommen», ist Urs Scherrer denn auch überzeugt. Die Clubs hätten ein Interesse, das Geld künftig unter sich aufteilen zu können und nicht mehr auf die Uefa angewiesen zu sein. Marco Casanova hingegen stuft die Wahrscheinlichkeit als gering ein. «Die Uefa hat sich bereits gewappnet und damit begonnen, ihre Statuten und Reglemente anzupassen.» Ausserdem habe sie die Kadenz der Spiele in der Champions League bereits markant erhöht und mit der Nations League einen neuen Wettbewerb für die Nationalmannschaften ins Leben gerufen. «Die Uefa dehnt sich immer mehr aus.»
Die Zweiklassengesellschaft: Den Einwand von Gegnern des Super-League-Projekts, die Solidarität zwischen grossen und kleinen Vereinen sei gefährdet, lässt Urs Scherrer nicht gelten. «Man lockt im aktuellen System Clubs immer wieder in eine Schuldenfalle. Zuerst gibt es das Zückerchen der Champions-League-Teilnahme, doch schliesslich platzen diese Träume.» Auch für Mario Casanova ist klar: Der europäische Klubfussball ist zur Zweiklassengesellschaft verkommen. Auch ohne eine Super League würde diese Entwicklung weitergehen: «Die Champions League hat Reformen angekündigt, die sie quasi selbst zur Super League machen.»
Die nächsten Schritte: In seinem Urteil weist der EuGH den Fall zurück an ein spanisches Gericht. Sportjurist Scherrer erwartet jedoch keine Anpassungen. Würden Uefa und Fifa das Urteil torpedieren wollen, müssten sie triftige sportliche oder juristische Argumente vorbringen. Ein zu voller Spielkalender etwa wäre ein solches Argument. «Aber die Sportverbände haben diesbezüglich bereits Eigengoals geschossen», so Scherrer. So habe Fifa-Präsident Gianni Infantino im Zusammenhang mit der Klub-WM etwa verlauten lassen, dass die Spieler bei der Belastbarkeit noch nicht an ihre Grenzen gelangt seien. Marco Casanova, der nicht glaubt, dass es zur privaten Super League kommt, fasst es kürzer zusammen: «Der Fussball beschleunigt sich. Es wird immer mehr Spiele geben.»