Lahmt die Wirtschaft, dann senkt die Nationalbank die Zinsen, so steht es im Lehrbuch. Der Effekt: Bald investieren die Firmen wieder, die Menschen konsumieren mehr und die Wirtschaft kommt in Schwung.
Doch das Lehrbuch hilft nicht weiter in der aktuellen Corona-Rezession: Denn seit Jahren sind die Zinsen negativ; die Nationalbank hat bereits so fest an der Zinsschraube gedreht, dass eine weitere Senkung fast unmöglich ist.
Der Zinssatz sei als Werkzeug nicht mehr zu gebrauchen, sagt Yvan Lengwiler, Wirtschaftsprofessor an der Universität Basel. Gar nicht gut sei das – für die Nationalbank: «Sie steht mit dem Rücken zur Wand. Sie hat mit ihrer jetzigen offiziellen Strategie eigentlich kaum mehr Handlungsoptionen.»
Nationalbank soll Strategie ändern
In der Not kauft die Nationalbank für hunderte von Milliarden Franken Fremdwährungen, vor allem Euro, um so den Frankenkurs zu schwächen. Auch dies hilft zwar der Wirtschaft, weil es zum Beispiel den Export erleichtert. Doch blähen die Devisenkäufe die Bilanz der Nationalbank ungesund stark auf, um nur eine unerwünschte Nebenwirkung dieser Politik zu nennen.
Geht es nach Ökonom Yvan Lengwiler, soll die Nationalbank darum ihre Strategie ändern: Sie soll offen zu ihrer – inoffiziell bereits praktizierten – Wechselkurspolitik stehen. Und sie soll zugeben, dass die Zinspolitik, wie sie im Lehrbuch steht, ausgedient hat.
Yvan Lengwiler hat zusammen mit zwei Fachkollegen einen Aufsatz dazu geschrieben und ihn heute online veröffentlicht . Die Ökonomen entwerfen darin Alternativen.
Konkret solle die Nationalbank sagen, dass sie beispielsweise den Franken zum Euro in den nächsten zwölf Monaten um ein Prozent schwächen wolle. Wegen ihrer geballten Macht am Devisenmarkt, könnte sie diesen Kurs durchsetzen, sind die Autoren des Aufsatzes überzeugt. Das würde bedeuten: Statt der Zinsen wäre nun der Wechselkurs das Instrument der Geldpolitik.
Höhere Inflation erwünscht
Ausserdem solle die Nationalbank lockerer mit der Inflation umgehen, fordern Lengwiler und seine Kollegen, die sich im sogenannten SNB-Observatorium zusammengeschlossen haben. Ein vernünftiges Ziel sei zwei Prozent Inflation im Durchschnitt – ähnlich, wie es die Notenbank der USA ansteuert. Heute liegt das Zielband der Nationalbank für die Inflation lediglich bei null bis zwei Prozent, also einiges tiefer.
Im Kern gehe es darum, dass die Inflation zurückkehre auf ein gesundes Niveau, sagt Yvan Lengwiler. Das sei gut für die Schweizer Wirtschaft und auch gut für die SNB, die dann wieder eine funktionierende Strategie hätte.
Die SNB selber sieht aktuell keinen Anpassungsbedarf, wie sie auf Anfrage bekräftigt. Aber, fügt sie an: Sie verfolge die Diskussionen in der Öffentlichkeit und bei anderen Notenbanken mit Interesse.