Es gibt eine klare Favoritin für den WTO-Spitzenjob. Die frühere nigerianische Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala sei Konsenskandidatin, sagt der Berner Handelsjurist und WTO-Insider Thomas Cottier: «Sie hat eine sehr grosse Erfahrung als Entwicklungsökonomin und war 25 Jahre in der Weltbank tätig.»
Und trotzdem blockierten die USA ihre Ernennung vor zwei Wochen in letzter Minute – und stellten mit der früheren koreanischen Handelsministerin Yoo Myung-Hee eine eigene Sprengkandidatin auf. Die USA gegen den Rest der WTO, nicht zum ersten Mal.
Ob der designierte demokratische US-Präsident Joe Biden den Stillstand an der Spitze der Welthandelsorganisation nun auflösen wird – und wann –, darüber kann auch Handelsjurist Cottier nur spekulieren. Denn bisher hatte Biden andere Prioritäten. «Die Frage des Welthandels und der Aussenwirtschaft stand in Bidens Kampagne nicht wirklich im Vordergrund.»
Ich gehe davon aus, dass die USA mit der neuen Präsidentschaft das Interesse teilen, in der WTO wieder eine starke Führung zu ermöglichen.
Trotzdem erwartet Cottier, dass der frühere Vize-Präsident unter Barack Obama die WTO wieder fördern wird. Ein deutliches Signal könnte die Unterstützung Bidens für die nigerianische Spitzenkandidatin Onkonjo-Iweala sein. «Ich gehe davon aus, dass die USA mit der neuen Präsidentschaft das Interesse teilen, hier wieder eine starke Führung zu ermöglichen.»
Gemeinsame Verhandlungen wieder fördern
Angenommen, das Führungsproblem würde behoben: Könnte die neue Chefin den Weg freimachen für einen Neustart der WTO? «Die Möglichkeiten einer Generaldirektorin in der WTO sind beschränkt. Aber es wird sehr darauf ankommen, inwieweit sie in der Lage ist, unter den Mitgliedern neue Initiativen zu lancieren und diese davon zu überzeugen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.»
Und gemeinsame Verhandlungen der Mitgliedsländer wären dringend nötig angesichts der existenziellen Probleme. So ist das Berufungsgericht für Handelskonflikte seit bald einem Jahr blockiert. Verstösse gegen multinationale Handelsregeln können daher nicht sanktioniert werden. Der WTO fehlen also die Zähne. Das untergräbt ihre Glaubwürdigkeit.
Trump forderte Reformen mit der Brechstange
Zudem haben die USA schon vor der Blockade kritisiert, dass es Jahre brauche, bis ein Streitfall entschieden wird. Die Organisation gilt als träge. Nicht nur deshalb fordert die Regierung Trump grundlegende Reformen – allerdings mit der Brechstange.
Ob sich der handelspolitische Kurs der USA unter Biden komplett ändern wird, sei fraglich, meint Thomas Cottier, der selbst als Interims-Schiedsrichter eng mit der WTO verbunden ist. Viel wichtiger sei vorerst, dass sich die Haltung der USA ändere. Und, «dass wieder ein Mann am Ruder ist, der an die Institutionen glaubt, diese auch stärkt, und der als Multilateralist Allianzen mit anderen Ländern suchen wird – gerade auch, um die Probleme mit China zu lösen».
Reden statt Knebeln – schon das wäre ein Gewinn für das Welthandelssystem. Und auch für die Schweiz, die als kleine, exportabhängige Volkswirtschaft auf funktionierende Handelsregeln angewiesen ist.
Biden hat viele Baustellen. Darum wird es wohl noch eine Weile dauern, bis der künftige Präsident beweisen kann, wie ernst er es meint mit dem Multilateralismus. Für die Zwischenzeit würde es helfen, die Blockade an der WTO-Spitze zu brechen. Durch Rückendeckung für die Konsenskandidatin Okonjo-Iweala. Es wäre zumindest ein starkes Signal.