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Internationale Zusammenarbeit Multilateralismus nach Trump – angeschlagen, aber nicht besiegt

Mit «America first» schwächte Donald Trump die internationale Zusammenarbeit. Doch seiner Ideologie folgten nur wenige.

US-Präsident Trump liess niemals Zweifel daran aufkommen, dass internationale Zusammenarbeit für ihn wertlos ist: «America first». Genauso sollte jeder andere Staatschef sein Land ins Zentrum stellen. Der UNO als Verkörperung des internationalen Systems bescheinigte er zwar gönnerhaft «sehr grosses Potenzial.» Potenzial, dass sie jedoch nie ausgeschöpft habe.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres warb hartnäckig – aber letztlich erfolglos – um ein starkes US-Engagement in den Vereinten Nationen. Tatsächlich traten die USA aus dem UNO-Klimaabkommen aus und kehrten dem UNO-Menschenrechtsrat den Rücken. Sie kündigten den Atomvertrag mit dem Iran und kappten ihre Zahlungen an das UNO-Palästinenser-Hilfswerk UNRWA. Sie wollen aus der Weltgesundheitsorganisation WHO austreten und sabotieren die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs.

Wie gross ist der Flurschaden?

Dennoch kommt Richard Gowan, Direktor bei der International Crisis Group, die Analysen und Lösungsvorschläge über Konflikte vorlegt, zum Schluss: «Trump hat versucht, das multilaterale System in die Luft zu jagen. Gelungen ist es ihm nicht. Das UNO-System ist heute angeschlagen, doch es liegt keineswegs am Boden.»

Trump hat versucht, das multilaterale System in die Luft zu jagen. Gelungen ist es ihm nicht.
Autor: Richard Gowan Direktor, International Crisis Group

Denn laut Gowan hat Trump keinerlei Plan, wie er sein Ziel erreichen will: «Er handelte aus dem Bauch. Ihm ging es um den Showeffekt für seine Anhänger. Vor allem versäumte er es, Allianzen zu schmieden.»

Trump konnte kaum überzeugen

Das heisst: Am Ende standen die USA meist alleine da. Anders als man das bei einer Supermacht erwarten würde, schloss sich fast niemand ihren Schritten an. Im Gegenteil, so Gowan: «Gerade weil sich Washington von internationalen Organisationen und multilateralen Verträgen abwandte, stellten sich andere, oft angeführt von den Europäern, erst recht hinter diese.»

Während Trump hoffte und darauf drängte, dass sich auch die europäischen Mitunterzeichner des Iran-Atomabkommens Deutschland, Frankreich und vor allem Grossbritannien seiner Kündigung anschliessen, taten das am Ende nicht einmal die engsten Verbündeten, die Briten.

Anders war das einzig beim UNO-Migrationspakt: Dort bewogen die USA eine ganze Reihe weiterer Länder, ihn nicht zu unterzeichnen. Zumal es beim Thema Migration – anders als beim Klimaschutz oder der Pandemiebekämpfung – weltweit nicht annähernd einen Konsens gibt.

Kann Joe Biden reparieren?

Gowan ist überzeugt davon, dass der neue Präsident Biden die Uhr zurückdrehen will und mancherorts auch kann, um weltweit wieder Goodwill für die USA zu schaffen. «Einfach ist das bei der WHO oder beim Klimaabkommen», so Gowan.

Oder bei der Verlängerung des New-Start-Vertrags mit Russland über Langstrecken-Nuklearwaffen. Schwieriger hingegen beim Iran-Atomabkommen. Denn dieses wird inzwischen auch vom Iran verletzt – weshalb entscheidend ist, ob auch Teheran einlenkt und einen Neuanfang will.

«Trotzdem hat Donald Trump für die USA nachhaltigen Flurschaden angerichtet», so Gowan. Zum einen habe er China ermöglicht, im UNO-System viel mehr Einfluss zu erringen. Den werde sich Peking nicht wieder nehmen lassen.

Trotzdem hat Donald Trump für die USA nachhaltigen Flurschaden angerichtet.
Autor: Richard Gowan Direktor, International Crisis Group

Zum anderen werde der Trump-Effekt bei der Glaubwürdigkeit nachwirken. «Kann man US-Zusagen und Unterschriften überhaupt noch trauen?», fragt Gowan. Solang Biden regiert, ist das wohl zu bejahen. Doch was, wenn in vier Jahren erneut ein Populist ins Weisse Haus einzieht – möglicherweise gar Trump selber?

Echo der Zeit, 11.11.2020, 18:00 Uhr

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