«E Biao a de Bao»
Das Thema nervt zwar, aber es wird nicht zuletzt von den OstschweizerInnen selber immer wieder aufgekocht. Der Sankt Galler Comedian Renato Kaiser startete seine Karriere mit einem Programm über die «Selbsthilfegruppe für Anonyme Ostschweizer in Bern». Der Thurgauer Slam-Poet Jan Rutishauser kommt auf die Bühne und sagt: «Wie si ghöred chum i usem Thurgau, werde aber ab jetzt hochdeutsch reden, denn ich möchte auch ernst genommen werden.»
Weitere Beispiele finden sich zuhauf, etwa dieses YouTube-Video:
Gibt es innersprachliche Gründe?
Über die Gründe für dieses negative Image wird viel spekuliert. Sind es die hellen Vokale, die den Dialekt so «spitz» machen? Mag sein, aber genau dieselbe Vokalqualität findet man beim Italienischen schön und klangvoll.
Vielleicht ist es das /r/, das im Gaumen artikuliert wird und nicht wie schweiztypisch an der Zungenspitze? Und die nasale Aussprache der Vokale, die dieses Gaumen-R nach sich zieht? Jedenfalls sind das alles Merkmale, die hierzulande ans Deutsch der Deutschen erinnern, was nicht unbedingt Pluspunkte gibt.
Entwarnung aus England und Frankreich
Es zeigt vor allem: Allein aus der Sprache heraus lässt sich die Abneigung gegen Ostschweizer Dialekte nicht erklären. Wie beim Thema «Beliebtheit des Berndeutschen» muss auch hier die Forschungsarbeit des Linguisten Adrian Leemann zitiert werden: Studierende aus Paris und aus Cambridge, die gar kein Deutsch verstehen, finden Sätze im Thurgauer Dialekt im Durchschnitt gleich schön wie Sätze auf Berndeutsch! ( Zur Studie )
Englische Ausdrücke, eigenartige Pluralformen oder Germanismen: Der schöne Schweizer Dialekt geht bachab. Wie schlimm steht es um unsere Sprache? Nadia Zollinger ist besorgt, doch SRF-Dialektforscher Markus Gasser sieht die ganze Sache lockerer.
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Es müssen also Faktoren ausserhalb der Sprache sein, kulturelle, sozialpsychologische und historische Prägungen, die unsere Negativbewertung bestimmen.
Ostschweiz als Provinz
Dazu gehört, dass die Ostschweiz in der Restschweiz oft keine positiven Emotionen weckt: Weder ist sie eine beliebte Feriendestination, noch besitzt sie ein urbanes Zentrum mit Anziehungskraft.
Interessant ist die Beobachtung, dass solche Kantone unter schlechtem Image leiden, die in der Alten Eidgenossenschaft Untertanengebiete waren - neben Thurgau ist das der Aargau und die Waadt. Vererben sich hier vielleicht Negativbilder über Generationen weiter?
Selbsterfüllende Prophezeiung
Das mag alles spekulativ sein. Es zeigt aber, wie wenig unsere Abneigung mit den Dialekten der Ostschweiz selber zu tun hat. Wir sind in unseren eigenen Vorurteilen gefangen, denn wenn man etwas lange genug behauptet, wird es schliesslich «wahr».
Ostschweizerdeutsch gibt es nicht
Dabei vereint die Ostschweiz eine Vielfalt an sehr speziellen Mundarten. Wers nicht glaubt, soll sich altes Diepoldsauerdeutsch anhören!
Wie schön Thurgauerdeutsch als Muttersprache sein kann, beschreibt die Autorin Tanja Kummer in ihrem jüngsten Buch: «Für mich hat der Thurgauer Dialekt etwas Warmes, Nahes, Weiches, das gefällt mir.»