Die Zahlen sprechen für sich: 149 Shows, 51 Städte, Ticketeinnahmen von über 2 Milliarden US-Dollar. Die «Eras Tour» von Taylor Swift ist nicht nur die bislang kommerziell erfolgreichste Konzerttour aller Zeiten – dank ihres kulturellen und wirtschaftlichen Einflusses darf sie bereits jetzt als eines der prägenden popkulturellen Ereignisse dieses Jahrzehnts bezeichnet werden.
Fast genau ein Jahr nach dem Abschlusskonzert im kanadischen Vancouver folgt nun die Ehrenrunde: Auf dem Streamingdienst Disney+ steht ab sofort eine Aufzeichnung des letzten «Eras»-Konzerts bereit – und eine sechsteilige Dokuserie, die einen exklusiven Blick hinter die Kulissen dieses Megaereignisses verspricht.
Doch wer in die ersten beiden Episoden klickt, die zum Start der Serie verfügbar sind, sieht zunächst genau das, was man von einer Dokumentation über eine bis ins Detail durchchoreografierten Show erwarten würde: Musikerinnen und Tänzer, die kurz vor Showbeginn im Kreis stehen und von der «Chefin» eine letzte Motivationsrede erhalten, Rückblicke auf die Planungsphase der Tour, Bühnen- und Outfit-Skizzen, der obligatorische Blick ins Logistik-Maschinenhaus einer Weltkarriere. Das vertraut kuratierte Standardprogramm eben.
Wenn die Realität in die Show einbricht
Aber dann verschiebt sich die Tonlage. Die erste Episode ist rund um die erste von Swifts fünf letzten Wembley-Shows aufgebaut – das erste Konzert, nachdem wenige Tage zuvor drei Auftritte in Wien aufgrund mutmasslicher Terrorgefahr abgesagt worden waren und kurz nachdem im britischen Southport ein Mann drei Mädchen an einer Taylor-Swift-Mottoparty erstochen hatte.
Als Swift schildert, wie sie sich vor den Wembley-Konzerten mit den Angehörigen der ermordeten Mädchen trifft, bricht sie in Tränen aus. Der ohnehin enorme Druck, der auf den Schultern des Zentrums eines solchen Megaevents lastet, wird in diesem Moment noch greifbarer.
Swift vergleicht sich mit einer Pilotin, die während des Flugs keine Angst zeigen darf: «Man kann nicht sagen: ‹Ich weiss nicht, ob wir wegen der Turbulenzen je wieder landen werden› – dann drehen alle im Flugzeug durch. Man muss stets die Ruhe bewahren und allen das Gefühl geben: Bleiben Sie angeschnallt, wir werden sicher landen.»
Überraschungen als Systemstörung
Für eine ganz andere Art von Nervenkitzel sorgen die Überraschungen, die Swift – bekennende Liebhaberin «guter Geheimnisse» – für ihre Shows plant. Die zweite Episode zeigt eindrücklich, was geschieht, wenn spontane Gastauftritte – etwa von Ed Sheeran oder Florence Welch – auf eine sekundengenau getaktete Show treffen.
Neue Choreografien müssen in Windeseile gelernt, Abläufe umgestellt und Effekte neu gesetzt werden, damit der Überraschungsmoment seine volle Wirkung entfalten kann. Dafür nimmt man auch in Kauf, dass die gigantische Maschinerie der Tour kurz aus dem Gleichgewicht gerät.
Zwischen Adrenalin und Erschöpfung
Und was passiert, wenn man nach einer solchen Show die Bühne verlässt? Wie bringt man den Energiehaushalt wieder ins Lot, wenn über drei Stunden Höchstleistung an einem zehren?
Im vielleicht besten Moment zeigt «The End of an Era», warum es manchmal bis vier Uhr morgens dauert, bis Swift im Hotelzimmer genug heruntergefahren ist, um überhaupt an Schlaf zu denken – und wie viel an einem solchen Popmonument hängt, das von aussen wirkt, als würde es mühelos laufen.