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Bewegung im Kopf Wieso uns Sport auf neue Ideen bringt

Viele Menschen schwärmen davon, dass sie beim Sport richtig abschalten können. Ist das tatsächlich möglich?

Beim Joggen, im Sattel oder auf der Schwimmbahn: An nichts anderes denken ausser an die Bewegung an sich. Danach, beim Ausdehnen oder unter der Dusche, kommt prompt der kreative Einfall, den man am Arbeitsplatz vergeblich gesucht hat. Genau davon berichten viele.

Wissenschaftlich breit abgestützt ist, dass unser Gehirn längerfristig von regelmässiger Bewegung profitiert, beispielsweise die räumliche Vorstellungskraft oder Konzentrationsfähigkeit dadurch verbessert wird. Doch was in unserem Kopf während des Sports oder kurz danach passiert, ist erst ansatzweise erforscht.

Einer, der dazu etliche Studien durchgeführt hat, ist der Bewegungs- und Neurowissenschaftler Stefan Schneider. Mit seinem Team an der Deutschen Sporthochschule in Köln hat er bei Probanden die Gehirnaktivität beim Sporttreiben gemessen. «Dabei wird der motorische Kortex, der für Bewegung und Koordination zuständig ist, aktiviert.»

Mathematischer Selbstversuch

Ein Beispiel: Beim Joggen durch den Wald koordinieren wir unsere Beinbewegung oder weichen einem Ast aus. Diese Bewegungen erfordern enorme neuronale Leistung. Doch die Kapazitäten im Kopf sind begrenzt.

Die Folge davon: Während dem Sport fällt die Aktivität im präfrontalen Kortex ab, der für logisches Denken und Planen zuständig ist. Das lasse sich ganz einfach erleben: «Versuchen Sie, während intensivem Training in Siebener-Schritten von 1488 rückwärts zu rechnen.» Kaum möglich!

«Bewegung macht nicht per se schlauer»

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Vor ungefähr 20 Jahren stellte der Neurowissenschaftler und Psychologe Arne Dietrich erstmals die « transiente Hypofrontalitätstheorie » auf.

Der Bewegungs- und Neurowissenschaftler Stefan Schneider konnte den Effekt bei verschiedenen Sportarten wie Laufen, Radfahren und Boxen nachweisen. Die Probanden absolvierten gemütliche bis intensive Trainings. Jedoch verstärkte nicht die Sportart oder die Intensität des Trainings den Effekt, sondern die Freude daran.

Schneider ordnet ein: «Bewegung macht nicht per se schlauer. Aber sie hilft dabei abzuschalten und dadurch wieder Kapazitäten für kognitive Lernprozesse freizusetzen.» Damit kann Sport die Fähigkeit verbessern, Lerninhalte aufzunehmen und zu verarbeiten, was wiederum die Intelligenz positiv beeinflussen könnte.

Der Abfall der neuronalen Aktivität im frontalen Kortex des Gehirns kann auch eine Erklärung liefern, warum Sport uns entspannt. Denn bei Stress zeigt dieses für Kognition und Emotion zuständige Areal eine deutliche Überaktivität.

«Weil diese Aktivität heruntergefahren wird, ist es auf einmal wieder möglich, neue Gedanken-Impulse zu kriegen», erklärt Schneider. Man könne sich das wie beim Neustart eines Computers vorstellen, dessen Arbeitsspeicher überlastet ist. Nach dem Neustart können wir uns besser konzentrieren und vielleicht haben wir gar kreative Einfälle.

Doch wann gelingt uns das am ehesten? Es gebe nicht die Sportart, um abzuschalten, so Schneider. Doch seine Studien zeigen: Kreativität passiert eher dann, wenn wir Freude am Sport haben. Sein Tipp: Die eigene Lieblingssportart wählen und sie zu einer Tageszeit ausüben, die einem liegt.  

Hilft Bewegung beim Denken?

Allerdings sind nicht alle Bewegungswissenschaftler von dieser Theorie überzeugt. Es gebe Situationen, in denen der präfrontale Kortex asymmetrisch reagiert, so der Bewegungswissenschaftler Eling de Brun der ETH Zürich. Aber: Das Ausmass davon hält er für begrenzt.

Das menschliche Gehirn und seine Asymmetrie

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Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass der menschliche Körper etliche Symmetrien aufweist: Zwei Arme, zwei Beine, zwei Augen und so weiter. Doch der Schein trügt, so ist beispielsweise der eine Arm länger als der andere. Auch unser Denkorgan mit den beiden Gehirnhälften ist asymmetrisch. Die beiden Gehirnhälften unterscheiden sich in Grösse, Form und Funktion. Sprich: Rechte und linke Hemisphäre sind auf unterschiedliche kognitive Funktionen spezialisiert.

Die Funktionen, bei denen die Asymmetrie am stärksten ausgeprägt ist, sind die Sprachverarbeitung in der linken Hemisphäre und die visuell-räumliche Verarbeitung in der rechten Hemisphäre. Gerade das Beispiel Joggen, wenn wir unsere Beinbewegung koordinieren oder im Wald einem Ast ausweichen, fordert enorme visuell-räumliche Leistung vom Hirn und zeigt Unterschiede in den beiden Gehirnhälften.

Eling de Bruin, der am Departement für Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich forscht, fasst zusammen, dass sich während der Bewegung zwar eine erhöhte Aktivität in der einen Hirnhälfte und eine gesenkte in der anderen zeigen könne, je nach Messmethodik. Jedoch gehe die «transiente Hypofrontalitätstheorie» nicht auf diesen Aspekt der Asymmetrie im Gehirn ein, sondern schaue stattdessen gesamthaft die Region des präfrontalen Kortexes an. Der Clou: Genau diese funktionelle Asymmetrie könnte die Berechnung zur Aktivität im präfrontalen Kortex verzerren, so der Forscher der ETH Zürich.

Forschung zeige klar, dass bei körperlicher Betätigung die Durchblutung überall im Körper, auch im Gehirn, ansteige. Mehr Blut bedeutet mehr Energie und Sauerstoff, wodurch unser Gehirn besser arbeiten kann.

Beispielsweise waren Kinder besser in Mathematikaufgaben, wenn sie grobmotorische Bewegungen wie Hüpfen, Krabbeln oder Werfen ausführten .  Auch wenn sich die Kinder nur minim bewegten und die Aufgaben mit Lego-Bausteinen lösten, waren sie leicht besser, als wenn sie ruhig auf ihrem Stuhl sassen.

Denn beim Bewegen setzt der Körper sogenannte Neurotrophine frei. Diese Stoffe braucht er, um neue Verbindungen zwischen bestehenden Nervenzellen zu knüpfen und neue Nervenzellen zu bilden. Dazu gehören der bekannte Neurotransmitter Noradrenalin und das Eiweiss BDNF. «Sie machen uns wacher, konzentrierter und energetischer.» Bewegung kann unsere kognitiven Fähigkeiten auch ankurbeln.

Worin sich beide Forscher einig sind: Es gilt noch einige Rätsel bezüglich neurologischer Effekte von Sport zu lüften.

Ratgeber, 06.07.2023, 11:08 Uhr

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