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Body-Mass-Index Warum der BMI kein Massstab für Gesundheit ist

Hoher BMI? Klingt nach ungesund – das muss aber nicht stimmen. Denn hinter hohem Gewicht können Fett oder Muskeln stecken.

Jasminca ist stolz auf sich. Seit Monaten joggt sie regelmässig und macht täglich Kraftübungen. Ihr Körper ist nun straffer, stärker, definierter. Doch ihr BMI? Der ist noch immer derselbe. Offiziell gilt sie weiterhin als übergewichtig. Das frustriert. Und zeigt deutlich, wo die Grenzen des BMI liegen.

Der Body-Mass-Index (BMI)

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Formel zur Berechnung des BMI.
Legende: SRF

Der BMI ist das Körpergewicht geteilt durch die Körpergrösse im Quadrat. Das heisst: Je schwerer eine Person ist im Verhältnis zur Grösse, desto höher ist ihr BMI.

Nach WHO gilt eine Person mit einem BMI ab 25 als übergewichtig und ab 30 als adipös.

Um zu verstehen, warum diese Grenzen überhaupt existieren, lohnt sich ein Blick zurück: Vor fast 200 Jahren erfand ein belgischer Statistiker die Formel des Body-Mass-Index. Nicht als Massstab für Gesundheit, sondern lediglich, um das «Normale» zu beschreiben.

In den 1970er-Jahren wurde diese Formel an über 7400 Männern getestet. Vier Fünftel davon waren weisse Männer aus Europa und den USA. Die restlichen Personen waren überwiegend aus Japan, nur wenige aus Südafrika. Der BMI basiert also auf einer sehr spezifischen Gruppe: fast nur auf weissen Männern jungen und mittleren Alters.

Eine weitere Problematik des BMI: Es wird nicht zwischen der Gewebeart unterschieden. Aber: Muskeln sind schwerer als Fett. Deshalb gibt es Athletinnen und Athleten, die gemäss BMI übergewichtig sind.

«Fitness meist wichtiger als Fatness»

Eine Person, die sich seit vielen Jahren mit dem BMI auseinandersetzt, ist Alexandra Kautzky-Willer. Sie ist Professorin an der Universität Wien und Expertin zu Diabetes und Gendermedizin: «Fitness ist meist wichtiger als Fatness. Es gilt: Bei viel Muskelmasse ist etwas mehr Körperfett nicht so gravierend. Doch gilt für alle Menschen, dass es aus gesundheitlichen Gründen gut ist, auf das Gewicht zu achten und weder unter- noch übergewichtig zu sein.»

Durchschnittlich gewichtige Menschen mit wenig Muskeln haben ein höheres Risiko für Krankheiten als mehrgewichtige Menschen mit viel Muskeln. Der Grund dafür liegt im folgenden dritten Kritikpunkt des BMI.

Hüftgold und dicke Beine sind gesünder als ein dicker Bauch

Der Ort der Fettablagerung wird beim BMI nicht berücksichtigt. Doch ist tiefliegendes Bauchfett sehr viel ungesünder als Hüftgold. Es steht für Fettablagerungen an und um Organe im Bauchraum und heisst Viszeralfett. Dieses Viszeralfett können auch durchschnittlich gewichtige Menschen haben, die sich sehr wenig bewegen.

Um den Ablagerungsort zur berücksichtigen, begrüsst Alexandra Kautzky-Willer zusätzlich zum BMI die «Waist-to-Height-Ratio».

Waist-to-Height, also Bauchumfang-zur-Körpergrösse berechnen

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Die WHtR-Formel.
Legende: Das Verhältnis von Bauchumfang zur Körpergrösse, auch Waist-to-Height-Ratio (WHtR) genannt. SRF

Zwischen der untersten Rippe und dem oberen Ende des Hüftknochens soll der Bauchumfang gemessen werden. Das ist also ungefähr auf Höhe des Bauchnabels. Wichtig dabei: Den Bauch dabei nicht einziehen – so die britische Gesundheitsbehörde.

Dieser Wert soll dann durch die Körpergrösse geteilt werden. Bei einem Wert von mehr als 0.5 besteht abhängig vom Alter ein Hinweis auf vermehrtes Bauchfett.

Diese Messmethode eignet sich auch für Jugendliche. Nicht geeignet ist sie für schwangere Personen, Menschen mit Essstörungen oder Krankheiten, die einen Einfluss auf die Körpergrösse haben.

Dieser Messwert zum Bauchumfang ist auch Teil des Vorschlags einer internationalen Kommission. Sie fordern Ergänzungen für den BMI.

Vorschlag von 60 Fachpersonen

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Anfangs 2025 hat eine internationale Kommission aus fast 60 Fachpersonen eine präzisere Definition von Übergewicht vorgeschlagen. Dabei soll der BMI mit mindestens einer der folgenden drei Messungen zur Körpermasse ergänzt werden:

  1. Bauchumfang
  2. Verhältnis Bauch-Hüfte
  3. Verhältnis Bauch-Körpergrösse

Der BMI kann auch ganz weggelassen werden und dann sollen zwei dieser vorgeschlagenen Messungen durchgeführt werden.

Eine Alternative zu diesen Messungen ist gemäss der Fachgruppe die direkte Messung des Körperfetts. Im Fokus soll dabei nicht das Gewicht stehen, sondern der Gesundheitszustand. So soll zwischen präklinischer und klinischer Adipositas unterschieden werden.

Menschen mit einer klinischen Adipositas haben objektive Anzeichen und/oder Symptome einer eingeschränkten Organfunktion. Oder sie sind erheblich eingeschränkt bei Standardaktivitäten des täglichen Lebens.

Menschen mit einer solchen klinischen Adipositas sollen gemäss Fachkommission als chronische Kranke betrachtet werden und eine angemessene Behandlung erhalten. Menschen mit einer präklinischen Adipositas hingegen sollen nicht als chronisch krank kategorisiert werden.

Kautzky-Willer begrüsst diese Unterscheidung. Doch ist diese Kategorisierung nach präklinisch und klinisch ihrer Meinung nach einen Schritt zu spät. Denn als klinisch gilt eine Person, die bereits Krankheitssymptome hat. Doch das Ziel wäre es, Erkrankungen zu verhindern.

Kautzky-Willer bevorzugt daher den Vorschlag der internationalen Adipositas Gesellschaft: Ein BMI von 25 bis 30 mit erhöhter Waist-to-Height Ratio über 0.5 und medizinische, funktionale oder psychologische Veränderungen gilt auch bereits als Adipositas.

Eine personalisierte Medizin

Ob mehr Gewicht gesundheitliche Risiken mit sich bringt, ist auch von weiteren Merkmalen abhängig. Dazu erklärt Kautzky-Willer: «Bei der Messung von Fettanteilen müssen geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Fettverteilung und Fettmasse berücksichtigt bleiben, ebenso wie gewisse ethnische Unterschiede.»

BMI, Geschlecht und Race

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Eine Erklärung, warum geschlechtsspezifische und ethnische Unterschiede berücksichtigt werden müssen: Die Zusammenhänge zwischen BMI und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurden mit Studien mit Gruppen weisser Menschen gut belegt. Studien mit Gruppen von Personen of Color mit familiärer Herkunft aus südasiatischen Regionen zeigen, dass diese Gruppe bei gleichem BMI durchschnittlich einen grösseren Bauchumfang aufweisen.

Und wie verschiedenste Studien zeigen, hat diese Gruppe im Durchschnitt bereits ab einem BMI von 27.5 ein erhöhtes Diabetes-Risiko, so Kautzky-Willer. Das ist der Grund, warum gemäss der asiatisch-pazifischen Klassifikation der WHO eine Person mit einem BMI ab 23 als übergewichtig gilt und ab 25 als adipös. Doch eine neuere Studie zeigt, dass auch diese Kategorie noch zu gross ist und in kleinere Gruppen aufgeteilt werden sollte.

Kautzky-Willer betont, dass bei Studien zu ethnischen Unterschieden sehr genau darauf geachtet werden muss, dass keine rassistischen Vorurteile reproduziert werden. Und so gut wie möglich zwischen sozialen Faktoren wie Einkommen oder Ernährung und genetischen Faktoren unterschieden wird.

Bezüglich Gender gilt, dass Menschen mit dem biologischen Geschlecht «weiblich» durchschnittlich häufiger Fettgewebe an Beinen und Po ablagern. Eine solche Fettablagerung schützt im Gegensatz zu Bauchfett vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Doch durch die Veränderungen im Hormonhaushalt löst sich dieser Schutz mit der Menopause auf. So haben über das gesamte Leben betrachtet alle Geschlechter ein ähnlich hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Nach der Menopause ist der BMI wegen mehr Bauchfettablagerung unterschätzend. Alexandra Kautzky-Willer erklärt, dass Menschen in der Postmenopause zu 40 Prozent falsch klassifiziert werden: Sie haben also trotz einem BMI unter 30 ein gleich hohes gesundheitliches Risiko wie adipöse Menschen.

Daher braucht es einen individuellen Blick. Also eine personalisierte Medizin, um das jeweilige gesundheitliche Risiko zu berechnen.

Stigmatisierung

Was Menschen nachweislich schadet, ist stigmatisiert zu werden. Auch Jasminca hat das erlebt. Oft basierend auf der falschen Annahme, Gewicht sei eine Willensfrage – und nicht in erster Linie vom Stoffwechsel geprägt.

Mehr zu Vorurteilen

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Die Annahme, mehr Sport und weniger Essen sei die Lösung gegen Übergewicht, ist falsch. Das betont auch das BAG in diesem Video. Abnehmen ist vor allem eine Frage des Stoffwechsels. Laut Allianz Adipositas Schweiz und dem BAG sind 70 bis 80 Prozent des BMI durch den Stoffwechsel erklärbar. Weitere Aspekte können zwar Bewegungsmangel und ungünstige Ernährung sein, aber eben auch Stoffwechselerkrankungen, sozioökonomische Faktoren und psychische Ursachen.

Sozioökonomische Faktoren sind unter anderem Schulbildung, Berufsausbildung, aktueller Job und geerbtes Vermögen. All das beeinflusst unser Gewicht, zum Beispiel über unser Einkommen. Denn: Wir brauchen Geld, um gesunde Nahrungsmittel kaufen zu können. Und auch, um Sportangebote wie ein Fitness-Abo oder ein Hallenbadeintritt zu bezahlen. Somit ist Übergewicht von vielen Faktoren abhängig, die oft nicht individuell beeinflussbar sind. Aus diesen Gründen ist Adipositas als Krankheit klassifiziert.

Eine Stigmatisierung ist im Gegensatz zum BMI ein klares Gesundheitsrisiko. Sie kann zu Stress und Depressionen führen.

Radio SRF 3, 25.7.2025, 16:15 Uhr

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