Hirntraining statt Medikamente - Mit chronischen Schmerzen leben lernen
Die psychosomatische Therapie hilft Menschen, ihre chronischen Schmerzen so weit in den Griff zu bekommen, dass sie ihr Leben wieder gut führen können. Und das möglichst ohne Medikamente.
Daphne Pitschmann hat seit 15 Jahren chronische Schmerzen. Dem Gang der 22-Jährigen sieht man es nicht an, denn heute kann sie mit dem Stechen in ihrer Hüfte umgehen. Es gab andere Zeiten. Da kam sie zu Fuss nur knapp 200 Meter weit.
Wie hat sie es geschafft, mit ihren Schmerzen zu leben? Nicht durch die Beseitigung der Ursache, sondern mit einer psychosomatischen Therapie. Die junge Frau ist ein ermutigendes Beispiel dafür, dass man chronische Schmerzen auch ohne Schmerzmedikamente in den Griff bekommen kann – oder mit nur wenigen. Und vor allem: ohne Opioide!
Opioid-Vergiftungen nehmen zu
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«Opioide» ist ein Sammelbegriff für natürliche und künstlich hergestellte Substanzen mit morphinartigen Eigenschaften. Vor allem bei akuten Schmerzen – zum Beispiel nach einer Operation – werden sie oft angewendet.
In der Schweiz sind sie dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt. Berüchtigt und gefürchtet sind Opiate auch seit ihrer massiven Verschreibung in den USA in den 2010er-Jahren, der sogenannten Opioid-Krise. Von 1999 bis 2018 starb fast eine halbe Million Menschen durch Opioide.
Eine aktuelle
Studie der ETH
belegt nun: In der Schweiz nehmen Opioid-Vergiftungen zu. Pharmakologin Andrea Burden hat die Notfall-Anrufe der Vergiftungsfachstelle Tox Info Suisse ausgewertet: Im Jahr 2000 bekam sie noch 1,4 Anrufe pro 100’000 Einwohner wegen Opioid-Vergiftungen. 2019 waren es 3,9 Anrufe.
Ausserdem hat das Forschungsteam die Verkaufszahlen von Apotheken und Arztpraxen angeschaut, die die Mittel abgeben: Im selben Zeitraum stieg die Zahl der verkauften Einheiten pro 100'000 Einwohner von 14’300 auf 27’400 – eine Verdopplung.
Eine andere Studie belegt zudem, dass über 85 Prozent der Verschreibungen an Personen gehen, die nicht unter einem Tumor leiden. Heisst: Die Opioide werden bei starken chronischen Schmerzen verschrieben. Doch gerade langfristig helfen Opioide nicht bei der Schmerzlinderung, das weiss man schon lange. Sie generieren sogar zusätzliche Schmerzen als Nebenwirkung.
Operationen linderten Schmerzen nicht
Pitschmann hat eine exemplarische Leidensgeschichte mit chronischen Schmerzen hinter sich. Mit diagnostischen Unklarheiten, Doktor-Hopping, massiven Auswirkungen auf das soziale Umfeld und depressiven Phasen.
Das Ganze begann bereits, als sie sieben Jahre alt war. Ärztinnen stellten eine Fehlstellung des Oberschenkelhalses fest. Aber die Operation, bei der Pitschmann als Achtjährige Eisenschrauben in die Hüfte gedreht bekam, liess die Schmerzen nicht verschwinden.
Auch die Folgeoperation ein Jahr später brachte keine Erlösung. Die Schmerzen in der Hüfte blieben. Die Ärzte waren ratlos.
Zermürbende Suche nach einem Befund
Daphne Pitschmann und ihre Familie waren getrieben von der Suche nach der Schmerzursache. Leider gibt es sehr viele Fälle, bei denen sich keine solche finden lässt. Der Grund: Unser Gehirn prägt sich ständig wiederkehrende Schmerzen ein. Irgendwann signalisiert es sie auch ohne körperlichen Auslöser. Ähnlich einem Ohrwurm: Obwohl man ein Lied gar nicht mag, wird es im Kopf endlos wiederholt. Von sich aus, in einer Endlosschlaufe, auch wenn man die Melodie gar nicht mehr gehört hat.
Die ewige Suche nach der Ursache der Schmerzen – und vor allem, dass die Ärzte nichts herausfinden – lässt viele Betroffene mit chronischen Schmerzen an sich selber und ihrer Wahrnehmung zweifeln. Viele rutschen deshalb in eine Depression. So erging es auch Daphne Pitschmann.
Ich habe super Freunde gehabt, aber kein Verständnis. Wenn ich Schmerzen hatte, war das Verständnis nicht da. Diese depressiven Phasen, da habe ich mich sehr alleine gefühlt.
Als Pitschmann 13 Jahre alt war, entschied die Familie, das Problem anders anzugehen. Sie wollte keiner Ursache mehr nachrennen, sondern den Schmerz auch ohne Befund akzeptieren und lernen, damit umzugehen.
Dank diesem Entscheid und der darauffolgenden Therapie lebt die junge Frau heute gut mit ihrem Schmerz, sogar ohne Medikamente.
Eine Schmerztherapie, die bei der Psyche beginnt
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In der Psychosomatik geht es darum zu verstehen, dass die Psyche Einfluss hat auf unsere Schmerzwahrnehmung und dass unser Gehirn Ursache für Schmerzen sein kann.
Chronische Schmerzen sollen mithilfe der psychosomatischen Therapie zur Nebensache werden, auch wenn sie noch da sind. Das Leben soll nicht mehr durch diese Schmerzen bestimmt werden, sondern trotz ihnen eine gute Qualität erreichen. Die Therapie bedient sich dabei dieser vier Hauptaspekte:
Patientenedukation
Psychotherapie
Ablenkungsstrategien fürs Hirn
Mobilisierung
Die wichtigsten Elemente dieser Art von Schmerztherapie:
1. Verstehen lernen
Auch wenn ein Schmerz nicht durch einen körperlichen Befund oder Auslöser erklärbar ist: Der Schmerz kann trotzdem da sein. Er entsteht immer im Hirn und dieses kann man selber beeinflussen.
2. Negative Gefühle angehen
Trauer, Wut oder Stress können Schmerzen verschlimmern oder manchmal sogar auslösen. Negative Gefühle sollten darum bemerkt und deren Ursprung angegangen werden.
3. Ablenkungsstrategien finden
Wenn das Hirn sehr beschäftigt ist mit einer Aufgabe, dann rückt die Schmerzwahrnehmung in den Hintergrund. Das kann man gezielt nutzen. Zum Beispiel, indem für jeden Buchstaben des Alphabets der Name einer Sängerin gefunden wird.
4. Aktiv werden und bleiben
Statt darauf zu warten, dass die Schmerzen verschwinden: Freunde treffen, Hobbys nachgehen, sich bewegen und Lebensziele verfolgen. Das hilft, sich von den Schmerzen nicht psychisch runterziehen zu lassen.
Schmerzen sind Kopfsache
Schmerzspezialist Wilhelm Ruppen vom Universitätsspital Basel ist überzeugt, dass die psychosomatische Therapie bei jeder Art von chronischen Schmerzen hilft.
Es komme aber darauf an, mit welcher Erwartung und Verständnis der Patient in die Therapie gehe. «Wenn der Patient das Gefühl hat, der Arzt erstelle ein Rezept für eine Wundertablette, dann funktioniert die Therapie nicht.» Es brauche ein Verständnis dafür, wie Schmerz im Körper – ganz besonders im Gehirn – funktioniert, so Ruppen.
Auch müssten Betroffene bereit sein herauszufinden, welche Faktoren in seiner oder ihrer Lebenssituation die Schmerzen verstärken.
Schmerzen nur noch im Hintergrund
Sieben Jahre ging Pitschmann in die Therapie. Sie hat es geschafft, den Schmerz zu akzeptieren und mit ihm zu leben. «Er ist Teil der Bühne meines Lebens», sagt sie, «aber ich kann jetzt selber entscheiden, was in meinem Leben wichtig ist.»
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